Vortrag an der VH-Ulm / 6.11.17

Am 6.11.17 war ich an der Volkshochschule in Ulm für einen Vortrags – und Diskussionsabend. Hier der Vortrag:

Einleitung:

Ich spreche heute Abend über Prostitution, über Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und die organisierte Kriminalität im Hinblick auf diese Themen und hoffe, dass ich damit verdeutlichen kann, dass es sich dabei mitunter um die tragischsten Verbrechen an Menschen handelt und man deshalb jede Möglichkeit ausschöpfen sollte um zu versuchen zu verhindern, dass diese Verbrechen in dem großen Ausmaß stattfinden können wie sie es tun.

Beim Thema Prostitution und wie sie am besten zu handhaben ist gehen die Meinungen auseinander. Manche möchten sie regulieren, manche wollen sie ganz abschaffen, andere wiederum wollen sie nicht einmal regulieren. Ich werde Ihnen heute meine Erfahrungen und meine Sicht der Dinge schildern und dazu auch ein paar offizielle Dokumente verwenden.

Jetzt mittlerweile bin ich an der Universität, ich habe meinen Frieden, mein Körper gehört mir ganz allein – das war nicht immer so, deswegen weiß ich, dass das nicht selbstverständlich ist.

Als ich im Alter von meinen jetzigen Kommilitoninnen war, stand ich im Bordell um meinem Zuhälter Geld zu verschaffen. In die Prostitution gekommen bin ich durch die sog. „Loverboy-Methode“. Das Bundeslagebild zu Menschenhandel berichtet 2015 auch darüber und sagt, dass hierbei meist junge Mädchen oder Frauen in ein emotionales Abhän­gigkeitsverhältnis gebracht, in der Folge an die Prostitution herangeführt und anschlie­ßend ausgebeutet werden und dass sie aufgrund des meist jungen Alters leicht zu beeinflussen sind sowie oft nicht sehen können, auf was sie sich mit der Prostitutionsaus­übung einlassen. Häufig hoffen sie, sich nur für eine bestimmte Zeit zu prostituieren, beispielsweise um dem Freund bei der Rückzahlung von Schulden zu helfen. Zudem führt das Vorspielen einer Liebesbeziehung in vielen Fällen dazu, dass die Mädchen oder Frauen sich der Ausbeu­tung nicht bewusst sind, teils den Täter schützen und selbst Maßnahmen ergreifen, um ihr reales Alter zu vertuschen. [1]

Meinen Zuhälter lernte ich damals als Schülerin im Internet bei einem Chat kennen, irgendwann kam es zu den ersten realen Treffen, ich war zum ersten Mal verliebt. Er war 20 Jähre älter als ich und der erste Mensch, mit dem ich dann auch Geschlechtsverkehr hatte. Er wurde meine einzige Bezugs – und Vertrauensperson, von meinem restlichen Umfeld war ich isoliert. Er war schon lange als Zuhälter im Rotlichtmilieu aktiv und hatte bereits einige Prostituierte vor mir „aufgestellt“, so sagt man im Milieu. Als er wusste, dass ich emotional an ihm hing, kam die Prostitution ins Spiel. Er nahm mich in Bordelle seiner Freunde mit, wollte, dass ich auch anschaffen gehe, begann bald darauf mir die Geschichte von den vielen Schulden zu erzählen, weswegen er Schwierigkeiten hätte, und ich begann schließlich mich für ihn zu prostituieren. Auch ich dachte, es wäre nur vorrübergehend, aber das war es nicht. Ich zog nach Ende der 12. Klasse des Gymnasiums zu ihm, brach die Schule ab und wurde Vollzeitprostituierte.

Als die Polizei mich kurz nach meinem Umzug zu ihm aufsuchte, weil sie einen anonymen Hinweis bekommen hatten, dass jemand mich in die Prostitution gebracht hatte, erzählte ich auf der Wache nichts. Ich konnte nicht sehen, in was ich da wirklich reinrutschte und ich fühlte mich verloren und überfordert, denn er erzählte mir immer wieder wie schlecht es ihm ginge. Ich fühlte mich sehr unwohl mit allem, gleichzeitig aber trotzdem verantwortlich ihn nicht im Stich zu lassen. Genau diesen inneren Konflikt erzeugen „Loverboys“ gezielt um die jungen Mädchen und Frauen zu beeinflussen und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Einmal in dieses System gerutscht, was sehr schnell passieren kann, kommen Sie da so gut wie nicht mehr raus.

Meine Geschichte ist nur eine von unzähligen anderen und manchmal, wenn ich jetzt mit meinen Kommilitoninnen zusammensitze und darüber nachdenke was wäre, wenn eine von ihnen an so einen Mann geraten wäre und sie jetzt genau wie ich damals in schäbigen Bordellen säßen, bereits mit 18/19/20/21 Jahren von 1000den von Freiern penetriert, kommt mir das ganz große Grauen, denn ich weiß, was es bedeutet.

Leider wird dieses Prostitutionsthema von vielen weggeschoben, weil man denkt, das alles liege so weit weg und betreffe einen sowieso nicht, doch es betrifft unsere ganze Gesellschaft und höchstpersönlich betrifft es mehr Menschen als sie denken würden.

Die meisten Freier, die bei mir oder mir bekannten Prostituierten waren, waren liiert oder verheiratet, hatten oft Kinder zuhause und haben uns Prostituierten gegenüber ihre komplette Menschlichkeit abgelegt. Die Freundinnen und Ehefrauen hätten ihre zu Unmenschen mutierenden Männer ganz sicher nicht wiedererkannt. Es geraten immer mehr deutsche junge Mädchen und Frauen durch die „Loverboy-Methode“ in die Prostitution und zwar auch durch deutsche Täter. Sie werden vor allem vor Schulen oder im Internet rekrutiert. Bärbel Kannemann war 40 Jahre Kriminalbeamtin, hat den Verein „No Loverboys“ [2] gegründet und hilft Opfern von „Loverboys“. Sie erzählte mir, dass das Alter der Opfer meist zwischen 12 und 23 Jahren liegt. Erst vor kurzem berichtete sie, dass sie wieder drei Mädchen hat. Eine 13 Jahre alt, die andere gerade 15 Jahre alt und schon 3 Jahre dabei und das dritte Mädchen 16 Jahre alt. Alle drei sind deutsch.

Das passiert genau HIER in unserer Gesellschaft. Und das alles kann nur geschehen, weil es so viele Freier gibt, die diese jungen Mädchen (oder auch Jungen) zum Zwecke sexueller Befriedigung kaufen.

Hauptteil:

Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten sehr viel mit Zahlen, Daten und Studien bzgl. der Prostitution beschäftigt, auf die ich vereinzelt auch noch zu sprechen komme oder später in der Diskussion anschneiden werde. Was in der Debatte über Prostitution aber fehlt, ist das Wichtigste überhaupt: es ist das gesellschaftliche Gespräch über den Menschen hinter der Prostituierten. Es ist ein Nachdenken darüber, was mit Menschen in der Prostitution eigentlich geschieht. Darüber nachzudenken bedeutet, über Menschlichkeit zu sprechen und über Menschlichkeit zu sprechen bedeutet zunächst Empathie zuzulassen und zu versuchen sich in den anderen hineinzuversetzen, denn nur so kann man die betroffenen Menschen verstehen. Das ist sicher schwierig, wenn es um Prostitution geht, aber es ist wichtig.

Versuchen wir es also.

Wer ist diese Prostituierte, was macht sie eigentlich genau, was geschieht mit ihr?

Im neuen ProstSchG finden Sie das hier:

§ 2 II ProstSchG

Prostituierte sind Personen, die sexuelle Dienstleistungen erbringen.

§ 2 I 1 ProstSchG

Eine sexuelle Dienstleistung ist eine sexuelle Handlung mindestens einer Person an oder vor mindestens einer anderen unmittelbar anwesenden Person gegen Entgelt oder das Zulassen einer sexuellen Handlung an oder vor der eigenen Person gegen Entgelt.

 

Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, wusste ich nicht ob ich vor Absurdität lachen oder aufgrund der Tatsache, dass diese 2 Sätze bezeugen, dass Prostitution in unserer Gesellschaft immer noch so wenig verstanden wird, doch eher weinen soll.

Was ich in 6 Jahren Prostitution erlebt und gesehen habe, waren in der Tat sexuelle Handlungen mindestens einer Person an oder vor mindestens einer anderen unmittelbar anwesenden Person…. aber die Schlussfolgerung, es handele sich hierbei um sexuelle Dienstleistungen ist fatal, denn dadurch wird, wenn auch unbewusst und sicher auch ungewollt, eine sehr verabscheuenswürdige Form von Gewalt geschaffen.

Was meine ich damit?

Diese 2 Sätze implizieren, dass der Prostitution an sich der Gewalt-Status abgesprochen wird, dass es ok ist, wenn sich fremde Menschen Ihren Körper zur sexuellen Benutzung kaufen, und dadurch wird die Gewalt, die man in der Prostitution erlebt, noch viel intensiver. Denn wenn Sie als Prostituierte fühlen, dass es eigentlich Gewalt ist, was Sie erleben, dass es Gewalt ist, wenn ein Mensch kauft, Sie berühren und penetrieren zu dürfen, aber Ihnen dadurch, dass alle um sie herum sagen, es sei normal und auch laut Gesetz eine Dienstleistung, vermittelt wird, es könne ja gar keine so furchtbare Gewalt sein, dann versuchen Sie Ihre empfundene Gewalt zu verleugnen und zu verdrängen, denn es ist ja angeblich keine Gewalt, sondern eine sexuelle Dienstleistung. Die Verleugnung von Gewalt kann noch schlimmer sein als die Gewalt an sich, denn über erlebte Gewalt an sich, wenn sie stattgefunden hat, können Sie zum Beispiel trauern und damit den Schmerz verarbeiten, aber bei Gewalt, die nicht als solche (an)erkannt wird, können Sie das nicht, denn trotz dessen, dass Sie die Gewalt fühlen, verinnerlichen Sie, dass es keine sein soll und versuchen ihre Gefühle auszuklammern. So können Sie nicht trauern, nicht verarbeiten und setzen sich womöglich weiterhin dieser existenten, aber nicht anerkannten Gewalt aus und werden dabei immer mehr traumatisiert. Ein schlimmer Teufelskreis, denn so können letztlich auch Außenstehende und der Gesetzgeber nicht mehr erkennen, dass es sich letztlich doch um Gewalt handelt. Alles sieht friedlich aus, aber es herrscht ein leiser, verheerender Krieg für die Menschen in der Prostitution, der kein Ende nimmt.

Ich hatte in der Prostitution mit unzähligen Prostituierten Kontakt, war zusammen mit ihnen und Freiern auf Zimmer, habe dadurch einen guten Überblick über alles Mögliche bekommen, und was ich gesehen habe, um es deutlich zu sagen, waren keine sexuellen Dienstleistungen, sondern schwerste Formen von sexueller, physischer und seelischer Gewalt. Es waren Verbrechen an den Menschen, die man in dem Sinne als Dienstleisterinnen bezeichnet. Die Prostitution ist die Kommodifizierung von Menschen, eine Objektivierung. Es ist ein „zur-Ware-degradiert-Werden“ und damit ein Verlust dessen, was eine menschliche Persönlichkeit an sich ausmacht – es ist ein Totalverlust bzw. ein Totalentzug Ihrer Menschenwürde und diesen Entzug spüren Sie. Irgendwann sind Sie wie betäubt um das nicht mehr fühlen zu müssen und gehen versteinert wie ein Roboter tag ein und tag aus der Prostitution nach.

Wenn man Sie erstmal als Persönlichkeit gebrochen hat, Sie selbst keine Würde, kein Selbstwert, keine Achtung mehr empfinden, dann sind Sie zu dem geworden, was die Prostitution aus Menschen macht und wovon sie letztlich auch lebt, denn wenn Sie keinen Schmerz mehr spüren, kann ihnen auch niemand mehr weh tun und Sie können funktionieren und Dinge aushalten, die ein Mensch normalerweise nicht aushalten kann.

Melissa Farley ist seit über 45 Jahren klinische Psychologin und international bekannt für ihre Studien und Schriften zu Prostitution. Einer ihrer Studien kann man entnehmen, dass 68 % der Menschen in der Prostitution eine posttraumatische Belastungsstörung aufweisen, die vergleichbar ist mit der von Folteropfern und sie nennt einen weiteren wichtigen Punkt in ihrer Schrift „Slavery and Prostitution“, in der sie Prostitution mit der Sklaverei vergleicht:

„The commodification that exists in the minds of traders, pimps, sex buyers, and slave buyers is ultimately incorporated into the identity of the prostituted or enslaved person.” [3]

Das Problem an diesem „zur Ware gemacht werden“ ist, dass viele Prostituierte diese Ansicht irgendwann in ihre Identität aufnehmen. Warum ist das so?

Freier überschreiten Ihre intimsten Grenzen und egal ob Sie in dem Moment zustimmen, Ihre Grenzen werden trotzdem überschritten, denn durch die Zustimmung geht der Ekel, die Abscheu, die Verzweiflung, die Angst, die Trauer, nicht weg. Wie ich oben schon erwähnte, werden Sie als Persönlichkeit gebrochen. Irgendwann wehren Sie sich nicht mehr dagegen entmenschlicht zu werden, Sie geben es auf Widerstand zu leisten, weil Sie keine Hoffnung mehr haben oder weil Sie keine Kraft mehr haben. Sie werden zu dem, was man von Ihnen wollte, dass Sie es werden -> eine freiwillige Prostituierte, die endlich still hält, die endlich nicht mehr jammert, die endlich widerstandslos zur sexuellen Befriedigung zur Verfügung steht. Und wissen Sie, was das Traurige ist? Dass die meisten Freier genau diesen Umstand erkannt, aber ignoriert haben um sich ihre Illusion der glücklichen Hure nicht nehmen zu lassen.

Farley sagt weiter zum Vegleich von Prostitution und Sklaverei:

„Slave sellers and buyers cataloged skin color in fetishistic detail. Today sex buyers compulsively catalog details about women they buy for sex, criticizing, grading, and bragging about purchased sex via online chat boards.” [4]

Weil wir in Ulm sind, möchte ich Ihnen ein Zitat von einem Freier zeigen, der in einem Ulmer Bordell war und sich danach ausgelassen hat (solche Einträge und damit auch Realitäten finden Sie überall, es hat also nichts mit Ulm an sich zu tun):

„Ich finde mich echt sehr gut aussehend! Ich bin groß und sehr gut trainiert! Mein Schwanz steht wie eine 1! (Alles rasiert)! Ich eingelocht und Sie die Hand um meinen Schwanz das der Gummi hält! Ich die Hand weg geschlagen und wollte weiter ficken! Sie hat sich dann wie ein Kleinkind verhalten! Sie möchte das mit der Hand am Gummi sonst fickt Sie nicht weiter! Nebenbei sagte Sie mir noch das die Zeit vorbei ist in 4 Minuten! Ich dann vom Bett gesprungen und bin laut geworden. Heute ist es echt aus mir raus gebrochen! Ich habe die belegt und mir das Geld vom Tisch genommen! Ich habe echt den ganzen Laden zusammen geschrien. Du elendige Schlampe und weiter und weiter.“ [5]

Es war mir hier nicht wert, seine Rechtschreibfehler zu korrigieren, aber zum Thema:

manche würden argumentieren, das sind Einzelfälle, aber das sind sie nicht. Gewalt ist Bestandteil der Prostitution und das Geld ändert nichts daran, macht die Gewalt nicht weg. Alles, was Sie in der Prostitution sind ist ein Mittel zur Befriedigung sexueller Wünsche anderer. Was Sie als Mensch ausmacht, was Sie als Mensch fühlen, spielt keine Rolle mehr, sobald der Freier das Geld auf den Tisch gelegt hat.

Wie eine Prostituierte es formulierte: „es ist als würden Sie einen Vertrag unterschreiben vergewaltigt zu werden.“ [6]

Hinzu kommt, dass in der Prostitution meist Menschen tätig sind, die nie gelernt haben, respektiert zu werden, wertgeschätzt zu werden. Sie haben nie lernen dürfen eine Persönlichkeit mit Wünschen und Bedürfnissen zu sein. Und dieses Nichtwissen um ihre eigene Menschlichkeit, um ihren Anspruch auf Würde, wird ausgenutzt um sie in die Prostitution zu bringen und dort zu halten.

Wer nicht weiß, dass es ein Leben auf der anderen Seite des Berges gibt, wird sich eher nicht auf den Weg machen. Und in der Prostitution wird einem dieser Blick verwehrt. Hingegen wird Ihnen gelernt, dass es normal ist, dass sie so behandelt werden. Und je länger Menschen in der Prostitution sind, desto schwieriger ist es diesen Blick dafür, dass es eben nicht normal ist, zu entwickeln. Es ist wie eine Konditionierung.

Sehr oft hört man von Kindern, welche sexuelle Missbrauchserfahrungen erleben, dass sie diese Erfahrungen anfangs nicht zuordnen können, dass sie stillhalten und es über sich ergehen lassen, auch wenn es sich komisch anfühlt, weil sie denken, es sei normal so, es muss so sein, weil ihnen das so vermittelt wird. Ist es deswegen legal ein Kind zu missbrauchen – weil es einwilligt, weil es stillhält und sich nicht wehrt, weil es denkt, dass es normal ist?

Wenn man über Prostitution spricht, sollte man sich über die verschiedenen Mechanismen klar werden, die dieses System für seine Zwecke benutzt. Deshalb ist es so wichtig über Menschlichkeit zu reden, denn in keinem anderen „Beruf“ sind Sie so gefährdet alles zu verlieren, was einen Menschen ausmacht, wie hier.

Prostitution als Ganzes zu verstehen bedeutet auch, sich bewusst zu machen, mit welchem organisierten Konstrukt man es wirklich zu tun hat, dass es in der großen Mehrheit keine Prostitution ohne die Beteiligung der verschiedenen Formen des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gibt und dass das Rotlichtgewerbe in den Händen der organisierten Kriminalität liegt und von ihr gesteuert wird.

Es wird immer gesagt, man müsse Prostitution und Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung voneinander trennen. In der großen Mehrheit ist es aber nicht voneinander zu trennen. Eine so hohe Nachfrage könnte auch gar nicht anders bewältigt werden. Schätzungen zufolge nehmen ca. 1,2 Millionen Menschen pro Tag solche Arten von „Dienstleistungen“ in Anspruch. [7] Glauben Sie ernsthaft, dass es auch nur ansatzweise so viele Prostituierte gibt, die sich wirklich freiwillig, ohne sich in irgendwelchen Zwängen zu befinden, prostituieren?

Wenn ich allein in diesen Raum hier hineinfrage. Können Sie sich vorstellen, jeden Tag 10 Mal von wildfremden Menschen, die oft stinken, betrunken sind, gewalttätig sind, etc… penetriert zu werden? Oder auch nur 1-2 Mal pro Tag? Ich schätze, dass jetzt so ziemlich alle NEIN sagen werden und egal wo Sie diese Frage aufwerfen, Sie werden ein NEIN bekommen, also wo sollen denn diese vielen freiwilligen Prostituierten sein, von denen man immer spricht, von denen man immer sagt, es seien so viele?

Einem Bericht der EU-Kommission vom 19.05.2016 an das Europäische Parlament und den Rat kann man entnehmen, dass der Menschenhandel zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung die häufigste Form des Menschenhandels in der EU ist und alle anderen Formen dominiert. Nach den statistischen Daten für 2013-2014 gab es hier 10 044 registrierte Opfer (67 % der Gesamtzahl der registrierten Opfer) und die Opfer sind vorwiegend Frauen und Mädchen (95 % der registrierten Opfer), was eine sehr starke Asymmetrie der Geschlechter zeigt. Es wird weiter gesagt, dass die meisten der Opfer in der Prostitution zu finden sind. Zudem wird deutlich gemacht, dass die Menschenhändler nach und nach von sichtbaren zu weniger sichtbaren Formen des Menschenhandels zu Zwecken sexueller Ausbeutung übergehen und dabei den Status der „Selbstständigkeit“ missbrauchen. Laut der Aussage von Europol ist es in Ländern, in denen die Prostitution legal und reguliert ist, möglich, dass die Prostitution von der Nachfrage nach billigen Arbeitskräften beeinflusst wird, und Menschenhändler, die eine legale Umgebung zur Ausbeutung ihrer Opfer nutzen wollen, es wesentlich einfacher haben. Es deutet nach Aussage der Kommission darauf hin, dass trotz aller Anstrengungen der Menschenhandel zu Zwecken sexueller Ausbeutung nicht wirksam in Angriff genommen wurde und auch nicht zurückgegangen ist und die Mitgliedstaaten deshalb ihre Anstrengungen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu Zwecken sexueller Ausbeutung fortführen und weiter verstärken sollten. [8] In Deutschland wurde zwar dann letztes Jahr die Menschenhandelsrichtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels und zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes sowie des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 11. Oktober 2016 [9] umgesetzt, welches am 15. Oktober 2016 in Kraft getreten ist, aber die Frage ist, wie effektiv das Ganze sein kann und ob man nicht vor allem noch ganz wo anders ansetzen sollte.

Sehen Sie sich folgendes Schaubild an:

OCG

Hier haben wir die Beteiligung der organisierten Kriminalität am Menschenhandel. Die Beteiligung am Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung beträgt 90 %. [10] Diese Art von Menschenhandel ist also ihr absolutes Hauptbetätigungsfeld. Wenn ich mir überlege, wie viel Geld ich meinem Zuhälter beschafft habe und wieviel Geld andere Prostituierte an ihre Zuhälter abgaben, ist das auch nicht verwunderlich, denn eine Person in die Prostitution zu bringen und sie dort auszubeuten ist, wenn man gelernt hat wie es funktioniert, eine der leichtesten Möglichkeiten, ohne viel Aufwand hohe Einnahmen zu erzielen.

Ein typisches Merkmal der organisierten Kriminalität findet man auch in der Sklavenbewegung. Melissa Farley wirft einen weiteren Punkt in ihrer oben genannten Schrift über den Vergleich zu Prostitution und Sklaverei auf:

A mark of servitude could be inflicted on the slave, just as pimps and traffickers routinely tattoo their marks on women in prostitution.“

Auch mein Zuhälter hat mich auf dem Rücken tätowieren lassen um mich als sein Eigentum zu kennzeichnen. Es ist kein Name, kein Strich – oder Barcode, aber etwas, was ihn kennzeichnete und die anderen in seinem Milieukreis kannten. Die meisten Prostituierten, mit denen ich Kontakt hatte, waren irgendwie gebrandmarkt, meist durch ein Tattoo. In der Prostitution sind Sie das Eigentum der Menschenhändler und Zuhälter und eine Ware für die Sexkäufer, wobei der letzte Punkt immer außer Acht gelassen und sich nur auf die erste Gruppe konzentriert wird.

Prostitution ist ein in sich geschlossenes System, welches nicht die Prostituierten am Leben erhalten. Die beiden Hauptakteure sind die organisierte Kriminalität und die Sexkäufer. Die organisierte Kriminalität stellt den Markt bereit, in dem sie Frauen heranschafft, und Sexkäufer nutzen dieses Angebot, in dem sie die Prostituierte in Anspruch nehmen. Die Prostituierte, für die eigentlich das ProstSchG gemacht wurde, ist größtenteils nur ein Mittel zum Zweck, weswegen das ProstSchG auch der falsche Ansatz ist. Denn wo es fast keine Menschen gibt, die sich prostituieren wollen, muss man nicht überwiegend versuchen sie IN der Prostitution zu schützen, sondern viel mehr VOR der Prostitution. Das ist ein großer Unterschied. Ich sage nicht, dass es nicht auch vereinzelt Prostituierte gibt, die sich prostituieren, weil sie es möchten ohne irgendeinen Druck dahinter zu haben, ohne traumatisiert zu sein oder zu werden, aber das sind Ausnahmefälle und im Gegensatz zum großen Ganzen nicht repräsentativ. Leider können sich die Opfer des Systems nicht einfach mal so in eine Talkshow setzen oder ein Interview geben, denn sie kämpfen ums Überleben, sind gefährdet, stehen am absoluten Abgrund. Und diese Tatsache muss man bedenken, wenn man im Fernsehen oder sonst wo Menschen aus dem Bereich sieht, die sagen, es wäre alles ok und alles gar nicht so schlimm. Dadurch wird leider das Bild verzerrt und es spielt, wenn auch von diesen Leuten ungewollt, der organisierten Kriminalität in die Hände, weil die Gesellschaft nämlich davon ausgeht, dass grundsätzlich alles ok ist und so dem Ganzen nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet wird – aber es ist eben nicht alles ok.

Wichtig zu wissen ist auch, dass die Mehrheit der Opfer ohne (physische) Gewalt unter Kontrolle gehalten wird, was durch „weiche Methoden“ oder psychologische Einschüchterung geschieht. Das führt natürlich auch zu einer Reduzierung der öffentlichen Aufmerksamkeit und zu einer Reduzierung der Chance, dass Strafverfolgungsbehörden erkennen können, was abläuft. Diese Information geht aus einem Europol-Bericht hervor. [11]

Das bedeutet, dass trotz der Umsetzung der Menschenhandelsrichtlinie in das deutsche Recht Menschenhändler zum Zweck der sexuellen Ausbeutung weiterhin schwierig bis gar nicht zu fassen sein werden, obwohl es so unglaublich viele davon gibt. Ich habe nie ein Bordell gesehen, das frei von Menschenhandel war. Im Gegenteil: alles war voll davon und wenn ich mir die Zahlen der Anklagen oder Verurteilungen ansehe, dann hat das nicht im Geringsten etwas mit den Zahlen der Realität zu tun.

Hier ein Auszug aus einem Europol-Bericht:

„2015 verurteilten die Gerichte 72 Täter, die Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betrieben hatten, (2014: 79; 2013: 77). Weniger als 30 Prozent traten ihre Haftstrafe an. Die meisten Menschenhändler erhielten milde Freiheitsstrafen, da eine Bestimmung des Strafgesetzbuches (StGB) insbesondere bei Ersttätern das Aussetzen von Freiheitsstrafen von unter zwei Jahren gestattet… Insgesamt wurden nur 19 Täter, die Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betrieben, zu Haftstrafen verurteilt, 16 davon zu Strafen zwischen zwei und fünf Jahren und drei zu Strafen von weniger als zwei Jahren.“ [12]

Es wird manchmal argumentiert, wenn es „nur“ so und so viele Fälle von Menschenhandel gibt, dann seien es ja lediglich Ausnahmen und der Menschenhandel gar nicht so weit verbreitet. Das ist absolut falsch. Die Dunkelziffer ist enorm hoch! ENORM HOCH! Es bleibt in der großen Mehrheit unsichtbar und ungesühnt.

Menschen, die der organisierten Kriminalität zugehörig sind, haben vor solch niedrigen Konsequenzen auch keinen Respekt. Das Risiko, dass sie überhaupt bestraft werden, ist sehr gering, und die Strafe, die sie wenn überhaupt erwartet, interessiert sie nicht. Sie haben keinen Grund sich zurückzuhalten, weil sie in ihren Augen nicht viel zu befürchten haben.

Es ist zwar sehr gut, dass Deutschland letztes Jahr die Menschenhandelsrichtlinie umgesetzt hat, aber das genügt nicht, wenn nicht der Markt weniger lukrativ gemacht wird.

Die EU-Kommission sagt etwas ganz Entscheidendes. Menschenhandel ist moderne Sklaverei und zudem eine schwerwiegende Verletzung der persönlichen Freiheit und Würde sowie eine schwere Straftat. [13]

Sie sagt weiter etwas ganz essentielles:

„Die Ermittlung, Verfolgung und Verurteilung von Menschenhändlern sind wesentliche Instrumente zur Bekämpfung des Menschenhandels. Diese Instrumente kommen jedoch erst dann ins Spiel, wenn das Verbrechen begangen wurde und die Opfer bereits eine schwerwiegende Verletzung ihrer Grundrechte hinnehmen mussten. Von einer Beseitigung des Menschenhandels kann aber nur dann die Rede sein, wenn das Verbrechen erst gar nicht stattfindet…“ [14]

Man sollte alles daran setzen, dass es erst gar nicht so weit kommt, was vor allem eine Ursachenbekämpfung benötigt. Und was den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung betrifft ist die Ursache zu einem sehr großen Teil die Nachfrage. Auf sie sollte ein Fokus gesetzt werden um anzufangen den Händlern ihren Nährboden zu entziehen und so die Rekrutierung eines Opfers weniger lukrativ zu machen. Auch eine weiter verbreitete Sensibilisierung der Polizei vor allem für die neueren Arten des Menschenhandels, ich nenne ihn den „leisen Menschenhandel“, wäre sehr wichtig, um Situationen und Verhaltensweisen besser einschätzen und so effektiver reagieren zu können. Was den Aspekt der Nachfrage angeht, fordert das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten in einer Resolution von 2014 auf, ihre Rechtsvorschriften vor dem Hintergrund der Erfolge in Schweden, welches 1999 als erstes Land ein Sexkaufverbot einführte, zu überprüfen:

„Prostitution ist eine sehr offensichtliche und besonders verabscheuenswürdige Verletzung der Menschenwürde. Da die Menschenwürde in der Charta der Grundrechte ausdrücklich erwähnt wird, ist das Europäische Parlament verpflichtet, über die Prostitution in der EU zu berichten und zu prüfen, auf welche Weise die Gleichstellung der Geschlechter und die Menschenrechte in dieser Hinsicht gestärkt werden können… Es liegen immer mehr Beweise dafür vor, dass mithilfe des „Nordischen Modells“ die Prostitution und der Frauen- und Mädchenhandel wirksam verringert und die Gleichstellung der Geschlechter gefördert werden können.

Unterdessen sehen sich die Länder, in denen die Zuhälterei legal ist, nach wie vor mit Problemen konfrontiert, die den Menschenhandel und das organisierte Verbrechen im Zusammenhang mit der Prostitution betreffen. Deshalb wird in diesem Bericht das „Nordische Modell“ unterstützt, und die Regierungen der Mitgliedstaaten, die beim Umgang mit der Prostitution einen anderen Ansatz verfolgen, werden aufgefordert, ihre Rechtsvorschriften vor dem Hintergrund der Erfolge in Schweden und in den anderen Ländern, die dieses Modell angenommen haben, zu überprüfen. Auf diese Weise könnten erhebliche Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter in der Europäischen Union erzielt werden.“ [15]

In einer Entschließung bzgl. der Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels vom 12. Mai 2016 sagt weiter folgendes:

in der Erwägung, dass die Nachfrage nach Frauen, Mädchen, Männern und Jungen im Prostitutionsgewerbe ein entscheidender Sogfaktor für Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung ist;… stellt (das EU-Parlament) fest, dass ein gemeinsames Verständnis der Mitgliedstaaten im Hinblick darauf fehlt, was die Nachfrage nach Ausbeutung ausmacht, und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Leitlinien zur Bestrafung der Kunden nach skandinavischem Vorbild vorzulegen und gleichzeitig die Sensibilisierung für alle Formen des Menschenhandels, insbesondere sexuelle Ausbeutung, zu erhöhen… [16]

Auch der Europarat betrachtet die Kriminalisierung des Kaufs von „sexuellen Diensten“, basierend auf dem schwedischen Modell, als das wirksamste Instrument zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels. [17]

Was genau ist dieses Modell?

Es wurde erstmals 1999 in Schweden eingeführt und beinhaltet mehrere Gesetze. Ein sehr wichtiger Punkt ist das Sexkaufverbot. Menschen, die Sex kaufen, werden bestraft, hingegen nicht diejenigen, die Sex verkaufen. Es liegt eine Evaluierung [18] der schwedischen Regierung vor, die sich auf die Jahre zwischen 1999 und 2008 bezieht. Es sollte evaluiert werden, wie sich das Sexkaufverbot in der Praxis auswirkt sowie die Effekte im Hinblick auf die Häufigkeit der Prostitution und den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung untersucht werden.

Dazu wurden Kriminalitätsberichte und Verurteilungen ausgewertet um festzustellen, wie das Verbot von der Polizei, den Staatsanwälten und den Gerichten angewendet wurde. Verglichen wurden dabei die Zustände vor dem Sexkaufverbot und den Veränderungen nach der Einführung. Natürlich wäre es illusorisch zu sagen, danach sei alles gut oder es gäbe keine Prostitution mehr, aber es ist ein wichtiger Schritt um Gewalt anzuerkennen anstatt mit dem Argument zu resignieren, es werde dieses Geschäft sowieso immer geben, und es ist, wie das EU-Parlament sagt, auch ein wichtiger Schritt um die Gleichstellung der Geschlechter zu fördern.

Es wird berichtet, dass seit das Verbot in Kraft ist mehr und mehr deutlich wird, dass es eine sehr starke Verbindung zwischen der Häufigkeit der Prostitution und dem Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gibt. Die Straßenprostitution hat sich um die Hälfte reduziert und das Sexkaufverbot hat der Gründung der organisierten Kriminalität entgegengewirkt. Die Polizei, die in diesem Bereich tätig ist, sowie auch Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen berichten, dass organisierte Gruppen, die Menschen zum Zweck der sexuellen Ausbeutung verkaufen, Schweden als einen „armen Markt“ bezeichnen und sich aufgrund des Sexkaufverbotes hier weniger niederlassen. Es gibt auch eine wachsende Unterstützung für das Verbot in der Bevölkerung.

Dem Argument einiger Kritiker und Kritikerinnen, dass die Prostitution dann in den Untergrund rutscht, wird entgegengehalten, dass das nicht der Fall ist, denn in den Untergrund rutschen kann die Prostitution nicht, weil Sie mit einer unsichtbaren Prostitution nichts verdienen können. Als Prostituierte müssen Sie immer irgendwie sichtbar sein, damit auch die Freier Sie zur Kenntnis nehmen können. Und wo die Freier Prostituierte finden, findet sie auch die Polizei, so Simon Häggström von der schwedischen Polizei, der in der Praxis mit das Sexkaufverbot in Schweden umsetzt. Er sagt auch, dass es in Schweden sowie in anderen Ländern eine sehr starke Prostitutionslobby gibt, die in der Prostitutionsdebatte eine laute Stimme in der Öffentlichkeit hat, aber nur einen absolut geringen Teil der Prostituierten verkörpert. [19] Laut der Evaluierung haben Sexkäufer zudem Angst erwischt zu werden, nicht aber so sehr wegen der Strafe, sondern wegen ihres Familien- und Bekanntenkreises. Während es bei uns normal und „cool“ geworden ist nach der Disco am Freitag Abend oder vor der Heirat nochmal zusammen mit seinen Kumpels eine Prostituierte aufzusuchen, besteht in Schweden eine Ächtung des Sexkaufs. Das Verbot hat eine abschreckende Wirkung.

Zu Verbesserungsvorschlägen wird vor allem angebracht, dass es wichtig ist, seitens der Polizei der Umsetzung Priorität einzuräumen, denn kein Gesetz kann optimal funktionieren, wenn es nicht richtig angewendet wird. Zudem sollte die Sozialarbeit fortgesetzt und weiter ausgebaut werden. Um das Ausbauen zu können benötigt es mehr Ressourcen.

Nach einer Studie von Di Nicola und Farley hat das Wissen der Freier, dass die Prostituierte ausgebeutet, gezwungen oder gehandelt wird, sie nicht davon abgehalten den Sex zu kaufen, wobei Di Nicola in einer Umfrage feststellte, dass es 90% der Freier nicht möglich war, überhaupt Indikatoren von Zwangsprostitution zu erkennen. [20] Hier hilft weder eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten, noch eine Kondompflicht noch Mindeststandards für Prostitutionsstätten.

Ein Sexkaufverbot, Hilfe für Prostituierte raus der Prostitution, wenn sie das möchten, ein Anerkennen der Gewalt und der Menschenwürdeverletzung, die in der Prostitution geschieht, ist nötig. Es wird auch darauf verwiesen, dass eine Kriminalisierung immer nur eine Ergänzung sein kann – es braucht vermehrt gesellschaftliche Aufklärung. So ein Richtungswechsel wie jener in Schweden und einigen anderen Ländern, welche dieses mittlerweile sog. „Nordische Modell“ übernommen haben, ist nicht einfach, sondern eine schwierige Aufgabe. Dennoch sollte das, was hier in Deutschland im Untergrund stattfindet und aufgrund der Liberalisierung nur keiner so richtig sieht (wir haben also momentan diesen Untergrund von dem immer jeder spricht, dass man ihn vermeiden wolle!), an die Oberfläche geholt werden. Diese Anstrengungen sollten es wert sein, Menschen zu helfen ihre Würde zu verteidigen, so wie es in unserem Grundgesetz in Art. 1 steht, anstatt sie allein zu lassen und zu versuchen die Gewalt zu regulieren. Eine Kondompflicht ist gut, sie schützt die Gesundheit der Prostituierten besser – aber dennoch: das Kondom nimmt dem Akt an sich nicht die Gewalt, der Mensch bleibt weiterhin ein Objekt zur Benutzung.

Menschenhandel und Prostitution sind grenzüberschreitende Probleme und es benötigt deshalb internationale Zusammenarbeit. Wenn die Prostitution durch ein Sexkaufverbot in Nachbarländer ausweicht, was auch häufig als Gegenargument gebracht wird („sie würde sich nur verlagern“), ist das kein Scheitern des schwedischen Modells, sondern ein Scheitern der Zusammenarbeit unter den Ländern, denn wenn jedes Land dieses Modell hätte, gäbe es nichts mehr um auszuweichen.

Ich möchte noch kurz auf etwas Weiteres eingehen, was mir auch sehr wichtig ist. Vor allem manche Beratungsstellen argumentieren, Sexkauf solle man nicht verbieten, weil Prostitution „die einzige legale Alternative“ für manche Menschen sei. Das ist eine sehr bittere und zynische Argumentation.

Und auch hierzu sagt Melissa Farley etwas Bedeutendes:

„Einige Zuhälter, einige Sexkäufer und einige Regierungen haben die Entscheidung getroffen, dass es angemessen ist, dass bestimmte Frauen sexuelle Ausbeutung und sexuelle Übergriffe tolerieren um zu überleben. Diese Frauen sind meistens arm und werden ethnisch oder rassisch marginalisiert. Die Männer, die sie kaufen oder vergewaltigen, haben eine größere soziale Macht und mehr Ressourcen als die Frau. Zum Beispiel kommentierte ein kanadischer Prostitutions-Tourist über Frauen in Thailands Prostitution: „Diese Mädchen müssen essen, oder? Ich lege Brot auf ihren Teller. Ich gebe einen Beitrag. Sie würden verhungern, wenn sie keine Huren wären.“… Haben Frauen generell ein Recht ohne sexuelle Belästigung oder sexuelle Ausbeutung zu leben, die ihnen in der Prostitution widerfährt, oder haben dieses Recht nur diejenigen, die privilegiert sind? In unserem Rechtssystem schützen wir Menschen vor sexueller Belästigung und sexueller Ausbeutung. Aber, so Farley, ist die Berufsbezeichnung der Prostitution das Tolerieren von sexuellem Missbrauch.“ [21] 

Auch die ehemalige schwedische Gleichstellungsministerin Margareta Winberg fragte:

„Shall we accept the fact that certain women and children, primarily girls, often those who are most economically and ethnically marginalized, are treated as a lower class, whose purpose is to serve men sexually?” [22]

Nach einer weiteren Studie [23] von Melissa Farley möchten 89% der Menschen in der Prostitution die Prostitution verlassen, aber sie können es nicht, weil sie keine Alternativen sehen. Sie wollen also nicht von fremden Menschen jeden Tag penetriert werden und werden es trotzdem. Ja, jeder muss arbeiten, hat manchmal keine Lust dazu und muss es trotzdem tun, aber der große Unterschied ist, dass man in keiner anderen Arbeit zu einer Ware entmenschlicht, sexuell penetriert und dabei schwer traumatisiert wird.

Die bessere Argumentation als „es ist die einzige legale Alternative“ sollte sein, gemeinsam zu versuchen andere Alternativen zu schaffen anstatt an einem so gravierenden Punkt, wenn es um sexuelle, seelische und körperliche Integrität geht, zu resignieren und die Menschen ihrem Missbrauch zu überlassen.

Oft ist es auch so, dass nicht die Armut die Menschen anfällig macht an Menschenhändler zu geraten oder auch allein in die Prostitution abzurutschen, sondern vor allem bei jungen Menschen sehr häufig familiäre Gewalt, Missbrauchserfahrungen oder Vernachlässigung eine Rolle spielen. [24]

Es ist sehr wichtig, dass öffentlich viel mehr über dieses Thema im Ganzen aufgeklärt wird, über die Geschichten, Leidenswege, Zwänge und Traumata der Prostituierten gesprochen wird. Es ist wichtig, damit sie frei werden können. Frei von etwaigen Zuhältern, frei von inneren Überzeugungen, die ihnen vermittelt wurden, sie wären es nur wert ein Objekt für andere zu sein. Frei von Ängsten, dass die Gesellschaft sie nach ihrem Ausstieg sowieso nicht mehr akzeptieren wird und sie deshalb im Milieu verharren, frei von einem Leben, welches in der großen Mehrheit bedeutet sich selbst aufgeben zu müssen um überleben zu können.

Als Gesellschaft sollten wir versuchen ihnen zu vermitteln, dass sie nicht dieses Objekt sind, dass sie sich zeigen können und sollen, dass wir die Gewalt, die ihnen angetan wurde anerkennen und sie respektieren – und zwar als das, was sie sehr lange oder manchmal sogar noch nie sein durften: Menschen, deren Würde unantastbar ist.

Fußnoten:

[1] https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Menschenhandel/menschenhandelBundeslagebild2015.html;jsessionid=AE2C222C91B4903549CE5B60368E0FF6.live0602?nn=27956

[2] http://www.no-loverboys.de/

[3] http://prostitutionresearch.com/wp-content/uploads/2016/07/Slavery-Prostitution-Farley-2015.pdf

[4] Vgl. Fußnote 2

[5] http://www.forum-sachsen.com/threads/ulm-laufhaus-warnung-abzockvotze-megan-kaessbohrerstrasse9-in-ulm-01578-4565572.56529/

[6] https://www.theguardian.com/world/2007/sep/07/usa.gender

[7] http://www.tagesspiegel.de/kultur/prostitution-1-2-millionen-maenner-am-tag/225870.html

[8] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52016DC0267&from=DE

[9] https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&start=//*%255B@attr_id=%2527bgbl116s2226.pdf%2527%255D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl116s2226.pdf%27%5D__1509637330506

[10] https://ec.europa.eu/anti-trafficking/sites/antitrafficking/files/situational_report_trafficking_in_human_beings-_europol.pdf

[11] Vgl. Fußnote 10

[12] https://de.usembassy.gov/de/laenderberichte-menschenhandel-2017/ / English Version: https://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/countries/2017/271193.htm

[13] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012DC0286&from=EN

[14] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52016DC0267&from=DE

[15] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2F%2FEP%2F%2FTEXT+REPORT+A7-2014-0071+0+DOC+XML+V0%2F%2FDE

[16] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2F%2FEP%2F%2FNONSGML+TA+P8-TA-2016-0227+0+DOC+PDF+V0%2F%2FDE

[17] http://semantic-pace.net/tools/pdf.aspx?doc=aHR0cDovL2Fzc2VtYmx5LmNvZS5pbnQvbncveG1sL1hSZWYvWDJILURXLWV4dHIuYXNwP2ZpbGVpZD0yMDcxNiZsYW5nPUVO&xsl=aHR0cDovL3NlbWFudGljcGFjZS5uZXQvWHNsdC9QZGYvWFJlZi1XRC1BVC1YTUwyUERGLnhzbA==&xsltparams=ZmlsZWlkPTIwNzE2.

[18] https://ec.europa.eu/anti-trafficking/sites/antitrafficking/files/the_ban_against_the_purchase_of_sexual_services._an_evaluation_1999-2008_1.pdf

[19] https://www.youtube.com/watch?v=o6O4xzzTqSU

[20] http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/etudes/join/2014/493040/IPOL-FEMM_ET(2014)493040_EN.pdf

[21] http://prostitutionresearch.com/wp-content/uploads/2017/02/Very-inconvenient-truths-sex-buyers_sexual-coercion_and-prostitution-harm-denial_Farley-in-Logos1.pdf

[22] http://digitalcommons.uri.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1067&context=dignity

[23] http://www.prostitutionresearch.com/pdf/Prostitutionin9Countries.pdf

[24] http://ec.europa.eu/anti-trafficking/sites/antitrafficking/files/study_on_children_as_high_risk_groups_of_trafficking_in_human_beings_0.pdf

8 Kommentare

  1. Ein sehr, sehr bewegender Vortrag. Ich bewundere Deine Klarheit. Du legst dar, dass es sich bei der Misshandlung und Ausbeutung von Menschen nicht um eine freiwillige Dienstleistung handeln kann. Tragisch, dass so ein Vortrag von Dir überhaupt erforderlich ist. Alles, was Du schreibst, ist eigentlich selbstverständlich. In Bezug auf die Bewertung der Prostitution sind wir ein absolut unmenschliches, rückständiges Land.

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      1. Du arbeitest ganz intensiv daran. Ich glaube, dass Du mit Deinem Blog und Deinen Vorträgen und damit, dass Du von Deinem Leben berichtest sehr viel bewegen kannst. Alles Liebe!

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  2. Danke für Deinen tollen Vortrag! 🙂 – Weil Du von der Wichtigkeit der gesellschaftlichen Aufklärung sprichst, als begleitender Maßnahme der Sexkaufkriminalisierung und dem wirksamen Ausbau der Ausstiegshilfen:

    Gibt es bei Sisters e.V. eigentlich auch Überlebende der Prostitution, die in Schulen gehen? Ich stelle mir das recht wirksam vor, wenn Betroffene direkt und unmittelbar von ihren Erfahrungen erzählen, wie es wirklich ist und wie es sich wirklich anfühlte und was es für Folgen für sie hatte. – Fast wie eine Schutzimpfung zu dem Thema.

    Eigentlich bräuchten wir das als festen Bestandteil des Aufklärungs- und Sexualkundeunterrichts. Also: Jeder Jugendliche ab dem Alter X hatte schon einmal Gelegenheit, aus erster Hand von Betroffenen über Prostitution zu hören und auch Fragen zu stellen.Ich stelle mir vor, dass es, wenn eine solche Aufklärung zu Prostitution im Jugendalter passiert, sowohl die Chance senkt, Opfer als auch Täter zu werden, wenn man etwas älter ist.

    Oder ist das eher eine Schnapsidee? Vielleicht auch den Aussteigern unzumutbar?

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    1. Vielleicht nicht gleich als fester Bestandteil, aber sicherlich wäre es sehr gut, wenn man versucht es ein bisschen einzubringen. Ich habe nur gemerkt, dass oft Erwachsene schon nicht damit umgehen können, wenn man über diese Dinge spricht, weil es auch beim Zuhören schon sehr grausam sein kann… Ich glaube, es braucht bei jungen Menschen sehr viel Einfühlungsvermögen und das richtige Gespür dafür, was man machen/sagen/ansprechen kann und was man lieber nicht machen sollte, nicht dass es sich dann eher negativ auswirkt. Es ist bestimmt eine schwierige Gradwanderung, aber generell denke ich, dass das ganz ganz wichtig ist. Ich habe eine Sache in Planung, mal sehen, wie das wird. Ich berichte dann.

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      1. Auch hier freue ich mich über alles, was Du machen wirst und wovon wir dann erfahren dürfen.

        – Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber meine bisherige Erfahrung mit heiklen Themen ist, dass man im persönlichen Kontakt – anders als im Netz, wo das Persönliche fehlen muss – Menschen sehr viel mehr an Themen und Drastik zumuten kann als man oft glaubt.

        Möglicherweise bin ich da auch ideologisch, denn ich mag es allgemein nicht so gern, wenn Menschen von Themen verschont werden, die sie eigentlich direkt was angehen (und hier ist das m.E. der Fall). Ich selber fahre ich da bisher in RL-Gesprächen überwiegend sehr gut. Und das, obwohl ich selbst oft Angst vor der eigenen Courage habe und alles andere als unerschrocken bin. Ich erlebe es so, dass die meisten Menschen für voll genommen werden wollen und daher dankbar sind, wenn man unverblümt ist und Tacheles redet. Gerade, weil wir ja sonst oft so nen Eiertanz veranstalten und um den heißen Breih herumreden, haben schmerzvolle Wahrheiten oft was unmittelbar Erleichterndes.

        Was ich mir ebenfalls vorstellen könnte: Dass die Gleichung „schon Erwachsene nicht, dann Jugendliche erst recht nicht“ zumindest ein paar Realitätstests verdient hat. – Möglicherweise ist es nämlich genau anders herum: Wo wir Erwachsene Befindlichkeiten haben, können Jugendliche möglicherweise sogar deutlich besser mit umgehen. Es gibt da die Gleichung eines amerikanischen Sozialarbeiters, die sinngemäß lautet: „Lieber eine kurzfristige Grausamkeit, die sich langfristig heilsam auswirkt, als eine kurzfristige Verschonung, die langfristig Grausamkeiten mit sich bringt.“

        In jedem Fall, egal, was für Dich selbst stimmig ist, freu ich mich sehr, wenn Du ggbf. berichten magst, was für Erfahrungen Du gemacht hast. Auch dann, wenn Deine Erfahrungen meinen Annahmen komplett widersprechen! 🙂

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