Aktion „RotlichtAus“ in Marburg! – und die seelische Gewalt als Werkzeug der „Loverboys“

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Am 30.09.2017 fand eine Veranstaltung in Marburg statt. Auch ich war dort und habe einen Vortrag gehalten, den ihr weiter unten finden werdet.

Mit dem Vorspann (1.), der Zusammenfassung zur Veranstaltung (2.) und meinem Vortrag (3.) ist das hier ein ziemlich langer Blog-Eintrag – ich habe überlegt ihn zu kürzen, aber ich habe beschlossen, dass ich das nicht möchte, denn es ist alles wichtig und wer wirklich Interesse hat, vor allem etwas über „Loverboys“ und ihr gefährliches Hilfsmittel der seelischen Gewalt zu erfahren (und das Interesse sollte bestehen, denn es kann jedes Mädchen/(junge) Frau treffen!), wird sich die Zeit nehmen.

Wer also anfängt zu lesen, sollte ein bisschen Zeit haben oder lieber wann anders lesen.

1.Vorspann:

Der Veranstaltung vom 30.09. ging eine RotlichtAus-Plakataktion voraus:

„Zu verkaufen: Körper Freiheit Würde“ steht dort. Und weiter unten: „Bezahlsex zerstört Leben. Sag NEIN zu Prostitution.“ Dass diese Botschaft nun knapp zwei Wochen lang an 15 Marburger Plakatwänden die BürgerInnen erreicht, ist der „BI gegen Bordell“ zu verdanken… Sie sind Teil der Kampagne „RotlichtAus“. Das Konzept: Kommunen oder Initiativen, die ein Zeichen gegen die Verharmlosung des Handels mit der Ware Frau setzen und dabei besonders diejenigen ansprechen wollen, die mit ihrer „Nachfrage“ den Markt überhaupt erst schaffen – nämlich die Freier! – können die Motive anfordern. Da die Kampagnen-Motive schon entwickelt sind, halten sich die Kosten in Grenzen. 4.000 Euro hat Marburg investiert: Das SPD-geführte Stadtparlament beschloss, die Kampagne zu finanzieren…(Quelle: Aktion „RotlichtAus!“ in Marburg)

Hier ist die offizielle Pressemitteilung der Universitätsstadt Marburg:

Information und Diskussion „Prostitution: ein Beruf wie jeder andere?“

2.Zur Veranstaltung

Sabine Constabel hielt einen tollen Vortrag über die Wirklichkeit der Prostitution. Sie arbeitet seit über 2 Jahrzehnten als Sozialarbeiterin mit Prostituierten und kennt das menschenunwürdige System. Sie hat sehr viel über die Frauen, die meist sehr jungen Frauen aus Osteuropa erzählt, die auf diesem Markt verelenden. Sie hat die Mechanismen beschrieben, wie viele von ihnen hier landen. Oftmals werden sie aus dem Kinderheim geholt/gekauft und ihnen dann erzählt, dass die Prostitution nun ihr Teil ist, den sie als „Wiedergutmachung“ leisten/beitragen müssen. Sie hat von Familien erzählt, die ihre eigenen Kinder opfern und sie in die Prostitution schicken um die restlichen Familienmitglieder zu finanzieren – egal ob der Verluste und Risiken. Sie erzählte von den „Begleitern“, den Zuhältern, und räumt auf mit den Märchen über Prostitution.

Ich bin sehr froh, dass es Menschen gibt, die das System durchschauen können – und das kann Sabine Constabel. Sie gibt jenen unzähligen Menschen eine Stimme, die keine haben und immer noch im System festhängen. Das ist wertvoll und ich hoffe sehr, dass immer mehr Leute anfangen dieses System durchschauen zu können.

Wir sahen als nächstes eine tolle Filmzusammenfassung von Klaus Wölfle, TV-Redakteur beim bayerischen Rundfunk und Filmautor, mit dem Titel: „Verkauft, verschleppt, missbraucht“ – im Film gab es tolle Ausführungen von Michaela Huber, Psychotraumatologin und Psychotherapeutin, und Lutz Besser, Zentrum für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen.

Nach meinem Vortrag stellte dann Karen Ehlers noch die #RotlichtAus-Kampagne vor und erklärte, wie die Kampagne funktioniert, was sie bezwecken soll und sprach über weitere Kampagnenmotive. Hier gibt es eine tolle Präsentation: http://rotlichtaus.de/wp-content/uploads/2017/04/Praesentation-RotlichtAus.pdf

Bevor ich nun zu meinem Vortrag weiterleite, muss ich hier mal etwas ganz groß schreiben:

DANKE AN DIE GROßARTIGE STADT MARBURG, DIE DAS ALLES UNTERSTÜTZT HAT! DANKE AN FRAU INGE-HAUSCHILDT SCHÖN UND DER GANZEN BÜRGERINITIATIVE GEGEN BORDELL, DANKE AN DAS GANZE ROTLICHTAUS-TEAM UND DESSEN UNTERSTÜTZER UND UNTERSTÜTZERINNEN UND ALLEN MENSCHEN, DIE GEKOMMEN SIND UND SICH MIT DEM THEMA BESCHÄFTIGEN.

Welche Stadt möchte als nächstes diesen aufrüttelnden Schritt tun und ein Zeichen setzen?

3.Vortrag

(weil ich meine Redezeit einhalten wollte, hatte ich in Marburg das zweite Zitat von Manfred Paulus, das letzte Zitat von Sun Tsu und die Kommentierung dazu, ein Zitat vom Bundeskriminalamt sowie die Stellungnahme des Europarats und einen kleinen Teil des Europäischen Parlaments ausgelassen – hier ist nun alles komplett):

Ich möchte Ihnen heute ein paar Einblicke ins Innere des Prostitutionssystems geben und hierbei vor allem von dem, was manche als klassischen Menschenhandel bezeichnen, auf eine andere Form des Menschenhandels zu sprechen kommen – es geht um die sog. „Loverboy“- Fälle.

Ich werde im Folgenden erstmal auf den Begriff des „Loverboys“ an sich eingehen, die eigentliche Problematik dieses Themas ansprechen, die „Loverboy“-Fälle dann strafrechtlich zuordnen und zum Schluss werde ich noch auf die Prostitution im Allgemeinen eingehen.

„Loverboys“ sind Menschenhändler, die (jungen) Mädchen/Frauen gezielt Liebe vorspielen mit dem Ziel sie in die Prostitution zu treiben und in Form von Zuhälterei auszubeuten. Sie suchen gezielt und haben von Anfang an den Vorsatz den ins Auge gefassten Menschen mithilfe der Liebe zu ködern um ihn in die Prostitution zu führen, wo er ausgebeutet werden soll.

In letzter Zeit bin ich öfter der Frage begegnet: wie kann so etwas passieren? Am Anfang steht die vermeintliche Liebe und am Ende die Prostitution? In vielen und auch in meinem Fall war der Beginn der Prostitution daran gekoppelt, dem „Loverboy“ zu helfen, weil er vorgibt in Not zu sein und die Prostitution die einzige Chance sei das Geld aufzutreiben, ihn zu retten, er von einer gemeinsamen Zukunft spricht und sagt, dass alles besser werden würde. Es gibt aber hier verschiedene Vorgehensweisen.

Oftmals suchen diese Zuhälter gezielt an Schulen oder im Internet, weil das Plätze sind, an denen man sehr vulnerable Menschen antreffen kann – und vulnerable Menschen sind leichte Beute.

Bärbel Kannemann vom Verein „No Loverboys e.V.“, die in dem kürzlich ausgestrahlten, über „Loverboys“ handelnden ARD-Film „Ich gehöre ihm“ mitgewirkt hat, war 40 Jahre Kriminalbeamtin, setzt sich jetzt für Betroffene ein und macht Aufklärungsarbeit. Sie sagte mir, dass sie das jetzt seit ca. 8 Jahren macht und sich um die 1100 Betroffenen und Eltern gemeldet haben. Was ich sehr erschreckend fand war, als sie mitteilte, dass fast an jeder Schule, an der sie bisher einen Vortrag hielt, Opfer dabei waren und dass es an einer Schule sogar schon einmal 11 betroffene Mädchen waren. Das Alter geht von ca. 12-23 Jahren.

Ein Opfer erzählt folgendes:

„Er sprach mich vor der Schule an, nahm mich im Auto mit. Er hatte schöne Augen, schenkte mir CDs und schicke Sachen. Wir gingen aus. Immer nur nachmittags, damit ich zu Hause keinen Ärger bekam. Ich war verknallt in ihn.
Dann der erste Sex auf seiner Bude. Kurz danach kamen andere Jungen ins Zimmer, die mich streichelten. Es sei normal, dass seine besten Freunde auch Sex mit mir haben, sagte er. Heimlich wurde fotografiert. Bald zeigte er mir die Bilder und ich hatte Angst, dass meine Eltern sie sehen.“ [1]

Oftmals können dann Erpressungen wie diese in die Prostitution führen. „Wenn du nicht tust, was ich dir sage (sich zu prostituieren), zeige ich jemandem die Bilder/Videos“, etc…

Weiter heißt es: „Bald nach dem ersten Sex tischen „Loverboys“ z.B. die Geschichte mit den Schulden auf, die sie nur abzahlen könnten, wenn das Mädchen ein paar Mal mit Männern ins Bett geht. Aus ein paar Mal wird täglich, schließlich mehrmals täglich.“ [2]

Bärbel Kannemann sagt in einem Interview:

 „Die Masche funktioniert über emotionale Abhängigkeit“. „Die erste Kontaktaufnahme geschieht häufig auf dem Schulhof, vor Fastfood-Restaurants, aber mittlerweile in den meisten Fällen über soziale Netzwerke wie Facebook oder Badoo“. „Der Loverboy drängt sich Schritt für Schritt zwischen das Mädchen und dessen soziales Umfeld. Die Bindung an ihn wird immer enger, während Freundschaften und Kontakte zur Familie nach und nach zerbrechen. Diese soziale Isolierung läuft so lange, bis das Mädchen das Gefühl hat, dass ihr neuer Freund der Einzige ist, der es versteht.“ [3]

Es wird erst Vertrauen aufgebaut und danach kommt der Druck und zum Beispiel Sprüche wie:

„Ich habe Schulden und werde umgebracht, wenn ich sie nicht zurückzahle. Aber wenn du dich bereit erklären würdest, für mich mit einem Freund zu schlafen, werden mir die Schulden erlassen“. [4]

Auch Mädchen aus gutem Elternhaus sind betroffen. Dazu meint Kannemann:

„Grundsätzlich ist es schon so, dass Mädchen mit geringem Selbstwertgefühl stärker gefährdet sind und gezielt Mädchen kontaktiert werden, die ganz besonders nach Bestätigung, Aufmerksamkeit und Zuneigung suchen“. „Dass wie häufig angenommen vorwiegend Mädchen aus zerrütteten Familien zum Opfer werden, kann man allerdings nicht sagen. Im Gegenteil werden immer mehr Mädchen aus behütetem Elternhaus ausgesucht, die leicht erpressbar sind, weil man ihnen droht, der Familie etwas anzutun. Das wollen die Mädchen natürlich um jeden Preis vermeiden.“ „Es sind nicht mehr fast ausschließlich junge Männer mit Migrationshintergrund, die als Loverboy unterwegs sind, sondern immer häufiger deutsche Täter bzw. Täter aus allen möglichen Ländern.“  [5]

Ich selbst lernte meinen Zuhälter damals im Internet kennen. Ich hatte schwierige Verhältnisse zuhause und das Internet war eine Art Flucht aus der Realität. Wenn ich von der Schule kam stellte ich sofort den PC an und verbrachte sehr viel Zeit in verschiedenen Chatrooms. Irgendwann war er online und ich fing an mit ihm zu schreiben. Wir schrieben immer öfter, irgendwann jeden Tag, er wartete auf mich bis ich online kam und gab mir damit das Gefühl für mich da zu sein. Ich sprach mit ihm vermehrt über meine Probleme und er vermittelte mir Halt und Beständigkeit.

Es kam dann zu den ersten realen Treffen, wo er mich zum Essen eingeladen hat – er war um die 20 Jahre älter als ich und meine erste Liebe sowie der erste Mensch, mit dem ich dann auch Geschlechtsverkehr hatte.

Das mit der Prostitution fing erst ab da langsam an, wo er wusste, dass ich emotional an ihm hänge und er meine einzige Bezugsperson war. Am Wochenende fuhr ich vermehrt mit dem Zug in seine Stadt. Er begann mich auf seine Escort-Touren mitzunehmen, wo er eine Prostituierte zu einem Freier gefahren und draußen im Auto auf sie und sein Geld gewartet hat. Weiter nahm er mich in Bordelle seiner Freunde mit und wollte dann auch, dass ich anschaffen gehe.

Als ich mich davon distanzierte, weil ich es nicht wollte, war er schlagartig kalt, ein ganz anderer Mensch und begann mir nach und nach zu erzählen, er hätte große Schulden und stecke in Schwierigkeiten – ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mitbekommen, dass er mit sehr unspaßigen Leuten wie Hells Angels Mitgliedern zu tun hatte. Damals wusste ich nicht viel über seine Umstände, ich wusste nicht viel über das Rotlichtmilieu und seine genauen Kontakte, aber ich hatte Angst um ihn und Angst ihn zu verlieren.

Um das Ganze ein wenig abzukürzen – ich fing an für ihn anzuschaffen. Ich erinnere mich gut an eine Situation in einem Bordell mit Nachtbetrieb, wo eine Althure mich einarbeiten sollte. Ich wusste nicht, wie man ein Kondom benutzt. Das Bild habe ich genau vor Augen. Sie saß links von mir und demonstrierte an einem Freier, wie man das Kondom drüberzieht. Der Freier sah, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte sowie sexuell null Erfahrung – und er fand es toll, es hat ihn angemacht. Dazu muss ich sagen, dass ich zu dieser Zeit um sehr viel jünger aussah als ich eigentlich war. In der 12. Klasse des Gymnasiums brachte mich mein Zuhälter dann in den Oster – und Pfingstferien in einen Flat-Rate-Club eines Bekannten von ihm, wo ich mich für ihn prostituierte sowie ihm das Geld zum Abbezahlen seiner Schulden gab. In diesen 4-Ferienwochen hatte ich mit ca. 400 – 500 Männern Geschlechtsverkehr. Allein in 4 Wochen. Ich zog nach Ende der 12. Klasse zu ihm, auch weil ich von zuhause weg wollte – allerdings dachte ich nicht, dass ich mich weiter für ihn prostituieren würde. Als ich dort dann wohnte, wurde mir gesagt, ich könne natürlich nicht umsonst da wohnen, müsse arbeiten, es kamen unglaubliche Ausmaße von weiteren Schulden ins Spiel. Er sprach immer davon, dass nur noch dies und jenes bezahlt werden müsse und danach alles gut werde, aber es nahm nie ein Ende, es kam weiterer Druck hinzu, etc…

Ich wurde Vollzeitprostituierte und brach die Schule ab, weil ich dieses Doppelleben nicht führen konnte. Dass einen dann irgendwann nicht mehr die Liebe, sondern viele Abhängigkeiten, Verzweiflung und Ängste in der Prostitution halten, darauf werde ich später noch eingehen.

Die Frage ist aber erstmal: wie funktioniert dieser Anfang? Der Anfang, einen Menschen in die Prostitution zu bringen mit dem Druckmittel der Liebe. Was steckt hinter diesem ganz weit verbreiteten „Loverboy“-Phänomen, welches nicht nur ausländische, sondern auch viele deutsche junge Mädchen und Frauen betrifft?

Es ist eine Problematik, die sehr viel mit den Mechanismen von psychischer/seelischer Gewalt zu tun hat. Und dieses Thema, was ich gleich vertieft ansprechen werde, weil die „Loverboy“-Methode nur aufgrund der Ausübung von seelischer Gewalt Erfolg haben kann, ist ein sehr schwieriges Thema, weil diese Form von Gewalt nicht sichtbar ist und man oftmals Dinge, die man nicht sehen kann, nicht versteht und Gefahr läuft sie als nicht existent zu deklarieren. Wenn Ihr Kind beispielsweise von einem Zuhälter verprügelt wird, sehen Sie die blauen Flecken und wissen, dass etwas nicht stimmen kann. Wenn so ein Zuhälter aber anstatt auf physische Gewalt auf seelische Gewalt setzt und sich, wie es in diesen „Loverboy“-Fällen üblich ist, darum bemüht, dass nach außen hin nichts auffällt, dass im Falle von Schülerinnen diese weiter zur Schule gehen, die Hausaufgaben machen, sich normal verhalten sollen, etc… dann können Sie das zunächst nicht sehen, es bleibt unsichtbar. Erstmal. Die seelische Gewalt ist aber trotzdem da und wird gezielt eingesetzt um immer einen Schritt weiter zu gehen bis man den Menschen so destabilisiert hat, dass man ihn dort hinbekommt, wo man ihn von Anfang an haben wollte. In der Prostitution.

Es ist wichtig, dieses „Loverboy“-Thema noch mehr unter die Menschen zu bringen, was vor allem bedeutet, über genau das zu sprechen, woran sich diese „Loverboy“-Zuhälter bedienen: viele sagen sie bedienen sich lediglich der Naivität und Dummheit der Mädchen, aber das ist so nicht richtig. Sie bedienen sich seelischer Gewalt. Das ist ein großer Unterschied und das muss an – und ausgesprochen werden, denn um die Menschen, die sich in dieser Spirale befinden, erreichen zu können und um ihnen da raus zu helfen, ist es unbedingt nötig zu sehen, was da eigentlich passiert.

Deshalb möchte ich jetzt versuchen Ihnen die Ausmaße und das Verständnis von seelischer Gewalt vor allem hier im Hinblick auf die Prostitution und die „Loverboy“-Fälle etwas näher zu bringen.

Es gibt ein sehr gutes Buch von der französischen Psychotherapeutin Marie-France Hirigoyen. Es heißt „Die Masken der Niedertracht“ und behandelt das Thema seelische Gewalt auf mehreren Ebenen sehr intensiv und anschaulich. Ich bin auf dieses Buch durch eine etwas kuriose Art und Weise aufmerksam geworden.

Mein Zuhälter war auch ein ehemaliger Fremdenlegionär (das sagte er mir zumindest), also ein Krieger, ein Stratege. Es gibt ein sehr altes Buch über Kriegsstrategie, ein absoluter Klassiker. Es heißt „Sun Tsu – die Kunst des Krieges“. Ich habe damals durch ihn von diesem Buch erfahren, weil er es aufgrund seiner Vergangenheit vergöttert hat, aber gelesen habe ich es erst nach meinem Ausstieg. Ich wollte wissen, warum er es so hochgepriesen hatte. Nachdem ich dann im Internet den Namen des Buchs gegoogelt habe, fand ich auch den Namen und das Werk dieser Psychotherapeutin, denn sie greift in ihrem Buch mehrmals Sun Tsus Aussagen auf und überträgt einige seiner Ausführungen über Kriegskunst auf den psychischen Krieg zwischen zwei Menschen. Es steckt in diesem Kriegsbuch unglaublich viel an psychologischen Taktiken und Vorgehensweisen, den Gegner in die Knie zu zwingen. Sehr interessant ist hier das „wie“. Ein Spruch von Sun Tsu ist folgender: Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen. Und er veranschaulicht in seinem Buch sehr gut, wie man das tun kann. Manchmal direkt, manchmal zwischen den Zeilen.

Ich möchte Ihnen einen Auszug aus Marie-France Hirigoyens Buch vorlesen, in dem sie erst einen Satz von Sun Tsu aufgreift und diesen dann kommentiert:

„Sucht siegreich zu sein, ohne Schlachten zu liefern (…). Bevor sie kämpften, versuchten sie (die Ahnen), die Zuversicht des Feindes zu schwächen, indem sie ihn demütigten, indem sie ihn kränkten, indem sie seine Kräfte schweren Prüfungen unterzogen (…). Bestecht all das, was das Beste bei ihm ist, durch Angebote, Geschenke, Versprechungen, untergrabt sein Selbstvertrauen, indem ihr seine tüchtigsten Männer zu schändlichen und gemeinen taten anspornt, und versäumt nicht, das unter die Leute zu bringen.“

 Bei einer perversen Aggression geht es um den Versuch, den anderen zu erschüttern, ihn zweifeln zu lassen an seinen Überzeugungen, seinen Empfindungen. Das Opfer verliert dabei das Bewusstsein seiner Identität. Es kann nicht denken, nicht verstehen. Das Ziel ist es, es zu negieren und dabei zugleich zu lähmen, damit das Auftreten eines Konflikts vermieden wird. Man kann es angreifen, ohne es zu verlieren. Es bleibt zur Verfügung. Dies geschieht unter doppeltem Druck: Etwas wird gesagt auf verbaler Ebene, und das Gegenteil wird ausgedrückt auf der nichtverbalen Ebene. Die paradoxe Äußerung besteht aus einer ausdrücklichen Botschaft und einem Hintergedanken, dessen Existenz der Aggressor abstreitet. Ein äußerst wirkungsvolles Mittel, den anderen zu destabilisieren! [6]

Auch der „Loverboy“ versucht die Mädchen/Frauen von ihren eigentlichen Empfindungen und Gefühlen zu spalten und wenn man sich die Kommunikationsebenen zwischen „Loverboys“ und ihren Opfern ansieht, dann ist es genau das, was die Autorin hier aufschlüsselt. Denn sehr oft ist es so, dass der „Loverboy“, nachdem er angefangen hat das Prostitutionsthema aufzuwerfen und sie zu drängen, sie solle sich prostituieren, zum Beispiel danach auf verbaler Ebene sagt, dass er ihr aber nicht zu viel zumuten möchte, er sie so stark liebt, eigentlich nicht teilen will mit anderen Männern, und er ihr aber gleichzeitig mit dem vorher Gesagten, seiner Miene und der nonverbalen Kommunikation, die hier gezielt manipulativ eingesetzt wird, vermittelt: „Wenn du dich nicht prostituierst, dann lässt du mich im Stich und bist Schuld daran, wenn (mir) etwas passiert.“ So werden bewusst Schuldgefühle im Mädchen geweckt, in dem Wissen, dass sie letztlich anfängt sich gegen ihren Willen zu prostituieren und das ist genau der Moment, von dem auch Sun Tsu spricht. Der Widerstand des Feindes (hier der Widerstand des Menschen, der sich eigentlich nicht prostituieren will, der aber in der Prostitution ausgebeutet werden soll) wird ohne einen Kampf gebrochen, ohne physische Gewalt – allein auf der Ebene von „perverser Kommunikation“, wie Marie-France Hirigoyen es nennt.

Viele Zuhälter, die ich kannte, waren Meister dieser Art von Kommunikation/Manipulation und sie geben diese Taktiken untereinander weiter.

Wichtig ist ebenfalls zu verstehen, wie der Zuhälter seine Beziehung zu dem Mädchen/der Frau aufbaut. Die Autorin des oben genannten Buches schreibt auch über die sog. „perverse Verführung“. Sie spricht von einer Vorbereitungsphase, während der das Opfer destabilisiert wird und zunehmend sein Selbstvertrauen einbüßt.

Ein Zitat hieraus:

„Es geht darum, es zunächst zu verführen, dann zu beeinflussen, schließlich der eigenen Macht zu unterwerfen und ihm dann jegliche Freiheit zu nehmen…“ [7] „Mit Wahn wie bei der verliebten Idealisierung, wo man sich, um die Liebe zu bewahren, weigert, die Fehler oder Schwächen des anderen zu sehen, hat das alles nichts zu tun, es ist Einverleibung – mit dem Ziel zu zerstören… [8] „Beherrschender Einfluss oder Dominanz: das ist die geistige oder seelische Bevormundung in einem Abhängigkeitsverhältnis. Die Macht verführt den anderen, er wird hilflos, er kann gar nicht anders als einwilligen und zustimmen. Dies erfordert unter Umständen verschleierte Drohungen oder Einschüchterungen, denn er muss geschwächt werden, um ihm die eigenen Ansichten aufzwingen zu können.“ [9]

„Das Opfer ist in einem Spinnennetz gefangen, zur Verfügung gehalten, psychologisch gefesselt, betäubt. Ihm ist oft nicht einmal bewusst, dass ein Übergriff stattgefunden hat… Weil er die Wünsche des anderen ausschaltet und all seine Eigentümlichkeit beseitigt, hat der beherrschende Einfluß diese unleugbar zerstörerische Komponente. Nach und nach findet das Opfer seine Widerstandskraft und seine Widerspruchsmöglichkeiten aufgerieben…“ [10]

Übertragen auf die „Loverboy“-Fälle läuft das auch so ab.

Der „Loverboy“ ist meist älter als das Mädchen oder die Frau, es besteht ein großes Machtgefälle, nachdem er Vertrauen hergestellt hat besitzt er beherrschenden Einfluss und setzt sie unter Druck, gibt zum Beispiel Schulden vor.

Wenn es das erfordert, kommen Drohungen oder Einschüchterungen ins Spiel, sie kann auch mit Bildern oder Sonstigem erpresst werden. Sie wird durch verschiedene Vorgehensweisen geschwächt und gefügig gemacht. Sie wird psychologisch gefesselt.

Das ist die Anfangsstrategie. Am Anfang also wird die Liebe benutzt um die Mädchen und Frauen in die Prostitution zu bringen. Doch was geschieht dann? Die Autorin schreibt einen wichtigen Satz in ihrem Buch:

„Zunächst gehorchen sie, um ihrem Partner Freude zu bereiten oder um ihn aufzurichten, weil er unglücklich aussieht. Später werden sie gehorchen, weil sie Angst haben.“ [11]

Wenn das Mädchen/die Frau den „Loverboy“ kennenlernt, hat sie allein Gefühle der Liebe, was sich dann mit der Prostitution ändert.

Dem Gefühl der Liebe folgen Gefühle wie Verzweiflung, Ungewissheit und Angst. Nach dem Umzug zu meinem „Loverboy“ rutschte ich vom alltäglichen Schulleben in die Milieu-Kriminalität, hatte mit Hells Angels und weiteren zu tun.

Sie bekommen mit diesen Menschen innerhalb des Milieus keine Probleme, solange sie sich an die Regeln halten. Und diese Regeln haben nichts gemeinsam mit normalgesellschaftlichen Regeln. Manfred Paulus, Ex-Kriminalhauptkommissar, drückt es so aus:

Diese Milieugesetze sind von größter Bedeutung. In der Parallelgesellschaft Rotlichtmilieu finden die Spielregeln und Normen der Allgemeinheit und ihre Gerichtsbarkeit keine Anerkennung. Das Milieu hat eigene Wertvorstellungen, eigene Spielregeln, eigene Gesetze. Es hat eigene Ermittler, eigene Richter und wenn erforderlich auch eigene Henker.“ [12]

Diese Aussage kann ich zu 100 % bestätigen.

Was ich häufig bei Prostituierten gesehen habe ist, dass sie funktionieren, weil sie wissen, was in diesen Kreisen mit Menschen passieren kann, wenn sie nicht funktionieren, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Auch hier haben wir seelische Gewalt, denn es werden oft gezielt Anspielungen auf mögliche Konsequenzen gemacht. Es ist ein Ertragen der Situation aus Angst vor der Ungewissheit, was ansonsten passiert. Und diese Kreise von denen ich spreche, um es auf den Punkt zu bringen, ist die organisierte Kriminalität. Und sie kommt nicht nur vereinzelt vor, ich habe sie überall gesehen, sie steuert das komplette Milieu. Manfred Paulus sagt dazu:

Frauenhandel mit dem Ziel der Sexsklaverei ist seit jeher, spätestens jedoch seit den Grenzöffnungen nach Osten hin, ein Betätigungsfeld von Tätergruppierungen, die dem Organisierten Verbrechen zuzuordnen sind. Und Deutschland lädt diese viel beschriebenen und zurecht gefürchteten OK-Gruppierungen durch seine zentrale geografische Lage, seine wirtschaftlichen Gegebenheiten, seine hohe Nachfrage nach illegalen Gütern (so auch nach den Opfern dieses Marktes) und nicht zuletzt durch seine anhaltend täterfreundlichen (gesetzlichen) Bedingungen geradezu ein. Und diese Gruppierungen nehmen die Einladung seit Jahren dankend und in hohem Maße an.“ [13]

Um auf das Thema seelische Gewalt zurückzukommen und es zum Abschluss zu bringen, hier noch ein Zitat aus Sun Tsus Buch, welches im Hinblick auf die Prostitution den Nagel auf den Kopf trifft:

„Bringe deine Soldaten in Positionen, aus denen es keinen Fluchtweg gibt, und sie werden den Tod der Flucht vorziehen. Wenn sie den Tod vor sich sehen, gibt es nichts, was sie nicht erreichen können. Wenn es keinen Fluchtweg gibt, bleiben sie standhaft… Wenn sie keine Hilfe erwarten, werden sie hart kämpfen. So bleiben die Soldaten, ohne Befehle zu erwarten, ständig wachsam, und sie tun, was du willst, ohne angeleitet zu werden; sie werden ohne Vorbehalte treu sein; du kannst ihnen trauen, ohne Befehle geben zu müssen.“

Das ist ein sehr bedenkliches Zitat, aber es passt „übersetzt“ leider wie angegossen auf die Situation vieler Prostituierter: Prostituierte werden in eine Position gebracht, aus der sie keinen Ausweg mehr sehen (sie haben also keinen Fluchtweg). Wenn sie keinen Fluchtweg sehen, können sie logischerweise nicht fliehen, sitzen fest und müssen ertragen, was da mit ihnen passiert. Sie müssen jeden Tag ertragen von fremden Menschen penetriert und gedemütigt zu werden. Weil sie den Ausweg nicht finden, bleiben sie standhaft… denn sie haben keine andere Wahl. Sie erwarten keine Hilfe und werden deswegen hart kämpfen, um zu überleben. Ohne diesen Fluchtweg zu haben bleiben sie gezwungenermaßen wachsam und tun, was von ihnen gewollt wird, ohne angeleitet zu werden; sie werden ohne Vorbehalte treu sein; man kann ihnen trauen, ohne Befehle geben zu müssen.

Die Ausmaße von seelischer Gewalt können enorm sein. Zum Abschluss möchte ich die Autorin nochmal zu Wort kommen lassen:

„Auch wenn sie nonverbal, versteckt, unterdrückt bleibt, die Gewalt ist dennoch da: im Unausgesprochenen, in den Anspielungen, in den absichtlichen Auslassungen, und dadurch überträgt und erzeugt sie Angst.“ [14]

Wenn mir heute so jemand unter die Augen treten würde, hätte derjenige keine Chance, aber viele vor allem junge Menschen, meist Mädchen und Frauen, haben diese Widerstandskraft noch nicht entwickelt, sind leicht zu manipulieren, und es ist wichtig zu versuchen sie davor zu bewahren und zu versuchen, diejenigen, die betroffen sind, da rauszuholen. Das schafft man aber nicht, wenn man sagt sie seien aufgrund von Naivität und Dummheit selbst schuld daran in der Prostitution gelandet zu sein.

Von den „Loverboys“ bekommen sie vermittelt: „Wenn mir etwas passiert, weil du dich nicht prostituierst, bist du Schuld.“ Wenn dann noch von Stimmen aus unserer Gesellschaft kommt: „Du bist selbst schuld, wenn du darauf reinfällst, wenn du das machst“, dann ist das ein doppelter Schuldzuspruch und der Schuldzuspruch der Gesellschaft kommt den Zuhältern/Menschenhändlern zu Gute – sie nutzen ihn für sich, weil er, wenn auch unbewusst, bewirkt, dass sich die Betroffenen dann komplett in ihrer Schuld gefangen fühlen und eher in dem System verharren als gäbe es eine Gesellschaft, die sich klar positioniert und sagt: „Nein, du bist nicht schuld, wir reichen dir die Hand ohne dir Vorwürfe zu machen.“

Das Projekt „Liebe ohne Zwang“ [15] beinhaltet einen Workshop, der an Schulen durchgeführt werden kann und versucht, junge Menschen für diese „Loverboy“-Thematik zu sensibilisieren. Es braucht mehr von solchen Initiativen. Im Alltag erfahre ich leider von vielen jungen Leuten, dass auch sie nicht wissen, wo es im Bezug auf Liebe eine Grenze zu setzen gilt und dass ein Mensch, der sie liebt, niemals verlangen würde Dinge zu tun, die ihre Grenzen überschreiten. Ihnen dieses Gespür und die Selbstsicherheit dafür zu vermitteln, nicht über die eigenen persönlichen Grenzen für jemand anderen hinausgehen zu müssen, ist essenziell.

Nun möchte ich auf den nächsten Punkt eingehen und damit das Strafrecht ins Spiel bringen. „Loverboy“-Delikte werden strafrechtlich geahndet. Das Bundeskriminalamt listet sie im Bereich des Menschenhandels auf:

„Häufige Tatbegehungsform durch die Täter ist die „Loverboy-Methode“. Betroffene hiervon sind oft minderjährige Mädchen und junge Frauen aus allen Gesellschaftsschichten. Sie werden von „Loverboys“ angesprochen und zunächst vorgegaukelt, die Männer seien in sie verliebt. Die „Loverboys“ geben ihnen Aufmerksamkeit, Komplimente, Zuneigung und oft auch Geschenke. Gleichzeitig machen sie die Opfer emotional abhängig und entfremden sie ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis. Später verleiten oder zwingen sie sie zur Prostitution. Oft gaukeln sie ihren Opfern vor, das so verdiente Geld zum Aufbau einer gemeinsamen Zukunft verwenden zu wollen. Die Opfer sind oft schwer zu erkennen, da sie sich häufig selbst nicht als Opfer wahrnehmen.“ [16]

Wie im klassischen Menschenhandelsbereich gibt es auch hier nur selten Prozesse, von den Verurteilungen ganz zu schweigen.

Warum gibt es so viele Zuhälter/Menschenhändler, die sich vermehrt so verhalten? Die Frage ist relativ einfach zu beantworten. Sie benutzen die „Loverboy“-Methode, weil es der sicherste und wahrscheinlichste Weg ist eine Strafbarkeit zu umgehen, weil sie so am Unsichtbarsten bleiben können und sich hinter der vermeintlichen Freiwilligkeit der Prostituierten verstecken können.

Helmut Sporer von der Kriminalpolizei Augsburg, der in dem Bereich tätig ist, sagt folgendes:

Der Loverboy-Zuhälter ist denke ich der Intelligentere als der brutale Zuhälter, der eben physische Gewalt ausübt, weil er auch schwieriger zu fassen ist und weil die Beweisführung schwieriger ist – die Abgrenzung zwischen Freiwilligkeit, was macht das Mädchen aus eigenem Antrieb, oder nur weil es ihr Freund, den sie liebt und der sie täuscht, sie dazu manipuliert, das ist ganz ganz schwierig rauszuarbeiten bei Verfahren, bei Vernehmungen.“ [17]

Wie sind „Loverboy“-Fälle gesetzlich genau zuzuordnen? Ich möchte hier kurz auf den aktuellen Menschenhandelsparagraphen eingehen (und hier ist besonders auf das Tatbestandsmerkmal der „List“ zu achten, denn bei Anwendung dieses Tatmittels können auch Personen ab 21 Jahren geschützt werden – unter 21 Jahren braucht es ein solches Tatmittel gar nicht und ein „anwerben, befördern, weitergeben, beherbergen oder aufnehmen“ genügt).

In § 232 StGB heißt es in Abs. 1:

„Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer eine andere Person unter Ausnutzung ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, oder wer eine andere Person unter einundzwanzig Jahren anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt, wenn

  1. diese Person ausgebeutet werden soll

          a) bei der Ausübung der Prostitution…“

In Abs. 2 heißt es:

Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person, die in der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 bezeichneten Weise ausgebeutet werden soll,

  1. mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List anwirbt, befördert, weitergibt, beherbergt oder aufnimmt oder“

Mit dem Änderungsgesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels vom Oktober 2016 steht im § 232a StGB die Zwangsprostitution und in § 232a Abs. 3 StGB findet man auch das Tatbestandsmerkmal der „List“:

„Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer eine andere Person mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List zu der Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder den in Absatz 1 Nummer 2 bezeichneten sexuellen Handlungen veranlasst.“

In der Gesetzesbegründung zu § 232a StGB wird ausdrücklich bemerkt, dass die Rechtsprechung bei den sog. „Loverboy“-Fällen das Tatbestandsmerkmal der List angenommen hat (BT-Drs. 18/9095, 34). [18]

In der Gesetzesbegründung heißt es: „Dazu ist auf Rechtsprechung hinzuweisen, die das Tatbestandsmerkmal der List bejaht, wenn der Täter mit Hilfe der „Loverboy“-Masche (vgl. zu dieser Fallgestaltung die Begründung zu § 232 Absatz 2 Nummer 1) günstigere Voraussetzungen dafür schafft, das Opfer in die Prostitution zu bringen. Entscheidend sind danach das gezielte Vorgehen und die Einflussnahme im Vorfeld der Prostitutionsaufnahme. So werden häufig Mädchen und Frauen umworben, die aus prekären familiären, sozialen und finanziellen Situationen kommen. Wenn der Täter durch Geschenke, Einladungen und dem Vorspielen einer Liebesbeziehung bis hin zu dem Versprechen einer gemeinsamen Zukunft das Opfer aus der familiären Bindung löst oder zum Abbruch einer Ausbildung oder zur Aufgabe einer Berufstätigkeit bringt, oder auf sonstige Weise seinen Einfluss mehrt, dann schafft er damit zunächst eine günstige Situation zur Aufnahme der Prostitution, danach erfolgt die Ansprache des Täters, dass das Opfer für eine gemeinsame Zukunft Geld verdienen müsse und dies mit Prostitution gut zu verdienen sei.“ [19]

Oftmals liegt dann auch ausbeuterische Zuhälterei vor, wenn der „Loverboy“ das Mädchen/die Frau nicht allein zum Obigen veranlasst, sondern sie dann eben noch selbst in der Prostitution ausbeutet.

Da diese Veranstaltung aber nicht „LoverboyAus“, sondern „RotlichtAus“ heißt, möchte ich zum Abschluss auch noch etwas Generelles über Prostitution sagen und mich hier ganz klar für ein Sexkaufverbot nach dem sog. „Nordischen Modell“ positionieren. Warum das?

In 6 Jahren Prostitution und Rotlichtmilieu habe ich sehr viel erlebt und gesehen. Keinen Club ohne Menschenhandel, keinen Club ohne Zuhälterei, keinen ohne Zwangsprostitution und keinen ohne Gewalt. Warum gibt es all das in dem Ausmaß, wie wir es hier in Deutschland haben? Aufgrund der Legalität von Sexkauf gibt es eine extrem hohe Nachfrage, unzählige an Menschen, die Sex kaufen, weil sie Sex kaufen können. Diese immense Nachfrage gilt es zu decken und das ist ein absolut lukratives Geschäft für Menschenhändler. Je mehr Nachfrage besteht, desto mehr Geld können sie verdienen.

Das Europäische Parlament spricht in seiner Entschließung bzgl. der Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels vom 12. Mai 2016 auch diese Nachfrage an:

„in der Erwägung, dass die Nachfrage nach Frauen, Mädchen, Männern und Jungen im Prostitutionsgewerbe ein entscheidender Sogfaktor für Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung ist;…

 in der Erwägung, dass die Arten von Prostitution, bei denen Opfer von Menschenhandel am ehesten zu finden sind, wie etwa die Straßenprostitution, in Ländern, die den Kauf von Sex sowie Aktivitäten, die der Erzielung von Gewinnen aus der Prostitution anderer dienen, unter Strafe gestellt haben, zurückgegangen sind;…

in der Erwägung, dass der Menschenhandel mit Frauen, Mädchen, Männern und Jungen zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung in den Ländern, in denen die Nachfrage, einschließlich Zuhälterei und des Erwerbs sexueller Dienstleistungen, inzwischen strafrechtlich verfolgt wird, zurückgegangen ist;…

stellt fest, dass ein gemeinsames Verständnis der Mitgliedstaaten im Hinblick darauf fehlt, was die Nachfrage nach Ausbeutung ausmacht, und fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Leitlinien zur Bestrafung der Kunden nach skandinavischem Vorbild vorzulegen und gleichzeitig die Sensibilisierung für alle Formen des Menschenhandels, insbesondere sexuelle Ausbeutung, zu erhöhen…

weist auf die Daten hin, die die abschreckende Wirkung der Kriminalisierung des Kaufs sexueller Dienstleistungen in Schweden belegen; betont die normative Wirkung dieses Regulierungsmodells und sein Potenzial, die Haltung der Gesellschaft zu ändern, um die Nachfrage nach Dienstleistungen der Opfer des Menschenhandels insgesamt zu verringern;…“ [20]

Es ist denklogisch nachzuvollziehen, dass das System bei Reduktion der Nachfrage verkleinert werden kann. Wäre es für meinen Zuhälter nicht so lukrativ und so offensichtlich einfach gewesen mit mir Geld zu verdienen, hätte er das nicht getan. Natürlich wird es immer Menschen geben, die es trotzdem versuchen und tun, aber die Anzahl derer würde mit einem Sexkaufverbot niedriger.

Das Europäische Parlament hat in einem Bericht von 2014, dem sich eine Resolution angeschlossen hat, auch folgendes geschrieben:

„Prostitution ist eine sehr offensichtliche und besonders verabscheuenswürdige Verletzung der Menschenwürde. Da die Menschenwürde in der Charta der Grundrechte ausdrücklich erwähnt wird, ist das Europäische Parlament verpflichtet, über die Prostitution in der EU zu berichten und zu prüfen, auf welche Weise die Gleichstellung der Geschlechter und die Menschenrechte in dieser Hinsicht gestärkt werden können… Es liegen immer mehr Beweise dafür vor, dass mithilfe des „Nordischen Modells“ die Prostitution und der Frauen- und Mädchenhandel wirksam verringert und die Gleichstellung der Geschlechter gefördert werden können.

Unterdessen sehen sich die Länder, in denen die Zuhälterei legal ist, nach wie vor mit Problemen konfrontiert, die den Menschenhandel und das organisierte Verbrechen im Zusammenhang mit der Prostitution betreffen. Deshalb wird in diesem Bericht das „Nordische Modell“ unterstützt, und die Regierungen der Mitgliedstaaten, die beim Umgang mit der Prostitution einen anderen Ansatz verfolgen, werden aufgefordert, ihre Rechtsvorschriften vor dem Hintergrund der Erfolge in Schweden und in den anderen Ländern, die dieses Modell angenommen haben, zu überprüfen. Auf diese Weise könnten erhebliche Fortschritte bei der Gleichstellung der Geschlechter in der Europäischen Union erzielt werden.“ [21]

Und etwas, was ganz wichtig ist, erwähnt das EU-Parlament hier auch noch, weil seitens der Prostitutionslobby immer argumentiert wird, man würde Prostituierte mit einem Sexkaufverbot stigmatisieren. Nein, das ist falsch:

Dieser Bericht ist nicht gegen Frauen gerichtet, die als Prostituierte arbeiten. In dem Bericht wird gegen die Prostitution, aber zugunsten der Prostituierten argumentiert. Mit der Empfehlung, dass der Käufer – d. h. der Mann, der Sex kauft – als der Schuldige betrachtet wird, und nicht die Prostituierte, stellt dieser Bericht einen weiteren Schritt auf dem Weg zur vollständigen Gleichstellung der Geschlechter in der gesamten Europäischen Union dar.“ [22]

Auch der Europarat nimmt 2014 in einer Resolution Stellung:

„consider criminalising the purchase of sexual services, based on the Swedish model, as the most effective tool for preventing and combating trafficking in human beings;… (zu deutsch: betrachtet die Kriminalisierung des Kaufs von sexuellen Diensten, basierend auf dem schwedischen Modell, als das wirksamste Instrument zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels;…)

if they have legalised prostitution:

raise general public awareness of the need to change attitudes towards the purchase of sexual services and to reduce the demand… (zu deutsch: wenn Prostitution legal ist, schärfen sie das Bewusstsein der Menschen, die Einstellung im Hinblick auf den Kauf von sexuellen Dienstleistungen zu ändern und die Nachfrage zu reduzieren…) “ [23]

Warum die Freier bestrafen und nicht die Prostituierten? Sie sind in der Lage zu entscheiden, sie haben immer die Wahl zu kaufen oder zu gehen. Sie sind immer frei, während der Großteil der Prostituierten diese Wahl, zu gehen oder sich zu prostituieren, nicht hat.

Wenige reden über Freier, darüber, wie Prostitution, egal ob gezwungen oder freiwillig, in der größten Mehrheit stattfindet. Es ist aber wichtig, sich auch auf die Freier zu fokussieren, denn letztlich sind sie es, die die Prostituierten im Zimmer brechen.

Ich habe sehr lange in einem Bordell mit Nachtbetrieb als einzige Deutsche gewohnt, weil ich dort als Prostituierte tätig war, und habe auch viele Zimmergänge mit Freiern und anderen Prostituierten zusammen ausgeführt, auch mit welchen, die keinen Zuhälter hinter sich stehen hatten und wie viele sagen würden, es freiwillig getan haben. Und glauben Sie mir, wenn ich von dem weg gehe was ich selbst am eigenen Körper erlebt habe, werde ich diese Bilder von Verachtung, von Gewalt, von Brutalität der Freier gegenüber den anderen Prostituierten niemals vergessen. Und ich frage Sie: wenn dort eine Frau, zu gepumpt mit Alkohol und oft auch weiteren Drogen, um das ertragen zu können, leblos auf dem Bett liegt und sich zur Verfügung stellt, sich gewaltvoll penetrieren und demütigen lässt, weil sie sich bereits aufgegeben hat und dabei innerlich immer weiter zerbricht, ist das etwas, was man als Gesellschaft zulassen kann, zulassen möchte? Ist das Freiwilligkeit, die man mit Reglementierungen in den Griff kriegt? Ist das vereinbar mit der Menschenwürde?

Bei all der Gewalt, die ich durch Freier erlebt habe, denke ich auch, dass es für viele von ihnen ein Hilfsmittel sein kann, eine Vorgabe vom Gesetzgeber zu haben, dass es nicht in Ordnung ist Sex zu kaufen, denn glauben Sie nicht, dass alle nach so manch einer Gewalttat immer glücklich nachhause gegangen sind. Die meisten Freier haben sich zwar nicht für das Leid der Prostituierten interessiert, es war ihnen schlicht egal und manche von ihnen ergötzten sich noch daran. Allerdings gab es auch solche, die sich nach dem Akt vor dem Spiegel anzogen, hineinblickten und davor erschraken, zu was sie eigentlich fähig sind und was sie hier eigentlich tun. Spiegel Online hat im August einen Artikel über mich veröffentlicht und danach bekam ich viele Mails von Freiern und es gab auch einige Diskussionen. In einigen Beiträgen davon habe ich genau die Art von Freiern wieder erkannt, die damals vor diesem Spiegel standen. In den Kommentaren und Mails schrieben sie mir, dass es ihnen leid tut und dass sie eigentlich immer im Gefühl hatten, dass viele Prostituierte, bei denen sie waren, schrecklich darunter gelitten hätten, sie es als Freier aber nicht wahr haben wollten, sie es sich schön geredet haben, weil überall verkauft wird, dass Prostitution doch ein ganz normaler Beruf sei.

Ich glaube, dass viele Menschen in unserer Gesellschaft wissen oder ahnen, dass Prostitution in der großen Mehrheit nicht das ist, was ihnen oft verkauft wird. Und ich würde mir wünschen, dass sie das nicht nur im Stillen denken, sondern aufstehen und wie hier in Marburg etwas tun.

Deshalb möchte ich danke sagen an Marburg und allen, die diese Veranstaltung und die Plakataktion ins Leben gerufen und organisiert haben. Vor der Veranstaltung haben wir uns die ganzen RotlichtAus Plakate in der Stadt angesehen und das war wirklich überwältigend, denn diese Plakate sind nicht nur ein Zeichen an unsere Gesellschaft und an die Freier, dass in diesem Bereich eben doch nicht alles in Ordnung ist, sondern sie sind auch ein Zeichen für die sich noch prostituierenden Menschen, die unerträgliches an Leid erleben, dass da draußen jemand ist, der um ihr Leid Bescheid weiß, der sie versteht und versucht, etwas zu verändern, etwas zu verbessern, der hinsieht anstatt wegzusehen, der sie nicht allein lässt – und das gibt Hoffnung!

Unbenannt

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Fußnoten:

[1] http://www.no-loverboys.de/loverboys/wer-ist-ein-loverboy/

[2] siehe Fußnote 1

[3] https://www.polizei-dein-partner.de/nc/themen/internet-mobil/detailansicht-internet-mobil/artikel/die-loverboy-methode.html

[4] siehe Fußnote 3

[5] https://www.polizei-dein-partner.de/nc/themen/internet-mobil/detailansicht-internet-mobil/artikel/die-loverboy-methode.html?tx_ttnews[sViewPointer]=1

[6] Marie-France Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht, dtv, 17. Auflage 2016, S. 132/133

[7] Marie-France Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht, dtv, 17. Auflage 2016, S. 115

[8] Marie-France Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht, dtv, 17. Auflage 2016, S. 116

[9] Marie-France Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht, dtv, 17. Auflage 2016, S. 117

[10] Marie-France Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht, dtv, 17. Auflage 2016, S. 117/118

[11] Marie-France Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht, dtv, 17. Auflage 2016, S. 118

[12] https://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2011/juni/detailansicht-juni/artikel/rotlicht-und-organisierte-kriminalitaet.html

[13] siehe Fußnote 12

[14] Marie-France Hirigoyen, Die Masken der Niedertracht, dtv, 17. Auflage 2016, S. 121

[15] https://liebe-ohne-zwang.de/

[16] https://www.bka.de/DE/IhreSicherheit/RichtigesVerhalten/VerdachtDesMenschenhandels/verdachtDesMenschenhandels_node.html

[17] Verliebt, verführt, verkauft /Reportage & Doku/ https://www.youtube.com/watch?v=HeYSSyeAujc

[18] BeckOK StGB/Valerius, 35. Ed. 1.8.2017, StGB § 232 Rn. 41-45

[19] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/090/1809095.pdf

[20] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2F%2FEP%2F%2FNONSGML+TA+P8-TA-2016-0227+0+DOC+PDF+V0%2F%2FDE

[21] http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-%2F%2FEP%2F%2FTEXT+REPORT+A7-2014-0071+0+DOC+XML+V0%2F%2FDE, https://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0162+0+DOC+XML+V0//EN

[22] siehe Fußnote 21

[23] http://semantic-pace.net/tools/pdf.aspx?doc=aHR0cDovL2Fzc2VtYmx5LmNvZS5pbnQvbncveG1sL1hSZWYvWDJILURXLWV4dHIuYXNwP2ZpbGVpZD0yMDcxNiZsYW5nPUVO&xsl=aHR0cDovL3NlbWFudGljcGFjZS5uZXQvWHNsdC9QZGYvWFJlZi1XRC1BVC1YTUwyUERGLnhzbA==&xsltparams=ZmlsZWlkPTIwNzE2

13 Kommentare

  1. Bei der Manipulation durch Loverboys frage ich mich immer, wo da der Rest unserer Gesellschaft, also: wo wir alle sind, während Loverboys ihr Spiel durchziehen. Warum schaffen wir keine Beziehungs-Alternativen und graben ihnen damit das Wasser ab?

    Offensichtlich „kümmern“ sich Kriminelle mit dieser Masche deutlich besser um die entsprechenden Frauen/Mädchen als es irgendjemand sonst es tut. Wir lassen Menschen völlig allein und sozial isoliert, nach der Devise „none of our business“. Eine Gesellschaft wechselseitiger Fürsorge statt wechselseitiger Vernutzung sieht jedenfalls anders aus. Ich möchte behaupten: Wenn da nicht schon vorher eine gewisse soziale Isolation wäre, hätte auch die abgefeimteste Loverboy-Methode keine Chance, einfach, weil Frau bessere Beziehungsalternativen hätte, selbstbewusster und „immunisiert“ wären. Loverboys würden dann einfach abblitzen oder auflaufen. Für mich ist der Umstand, dass diese Masche so zuverlässig funktioniert daher auch ein Indikator dafür, dass wir ganz grundsätzliche Dinge sehr fragwürdig angehen: In unserem täglichen Umgang mit Mädchen, in der täglichen Gestaltung unserer Beziehungen und was den Grad an Verbundenheit und emotionaler Fürsorge angeht, den wir im Alltag miteinander pflegen. Also die Frage, ob wir heute in unserem Zusammenleben wirklich die richtigen Prioritäten setzen. – Ich weiß allerdings nicht, ob ich mich mit „Loverboys hätten dann keine Chance“ zu weit aus dem Fenster lehne und würde sehr gerne Meinungen von anderen dazu hören, v.a. von Betroffenen, die das aus erster Hand kennen. Ich schaue jedenfalls auf meine Nachbarschaft mit etwas anderen Augen, seitdem ich von der Masche gehört habe. Nicht auf mögliche Täter, sondern auf mögliche Opfer der Masche.

    Die Sache mit der emotionalen Unterversorgung fiel mir auch schon bei diesem Vortrag sehr ins Auge – mit seinen aus meiner Sicht wirklich irren Zahlen, wie schnell Loverboys präsent sind und „ihre hilfreiche Hand reichen“:

    Wir sind eine Gesellschaft, in der „caring“ klein geschrieben wird und Vernachlässigung groß.

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  2. Hallo Frau Norak,
    Ihr Blog hat mich in den vergangenen Wochen erheblich beschäftigt, ich hatte auch zu einem Beitrag aus juristischer Sicht etwas Kritisches geschrieben, was jedoch niemals freigeschaltet worden ist – schade.

    Ich teile Ihre Forderungen insoweit als dass der Staat unbedingt mehr gegen Zwangsprostitution unternehmen muss.

    Aus juristischer Sicht meine ich aber doch, dass Ihr Einsatz für das „Nordischer Modell“ etwas Wesentliches übersieht, indem allein auf die Strafbarkeit der „Freier“ (und Freierinnen) abgestellt wird. Denn auch wenn die Prostituierten nicht strafrechtlich verfolgt werden, wird durch ein Verbot doch die Freiheit, sich dazu entscheiden, sexuelle Dienstleistungen anzubieten final eingeschränkt. (Vergleich: Wenn es verboten würde, Eiskugeln zu kaufen, würde die Berufsfreiheit der Eisdielenbesitzer eingeschränkt, auch wenn diese nicht bestraft werden). Es geht also nicht nur um ein „Recht, Sex zu kaufen“, was Sie ja ablehnen, sondern auch um die Einschränkung „Sex gegen Bezahlung anzubeiten“. Diesen Punkt scheint mir das Nordische Modell nicht genügend zu berücksichten

    Die Forschungen zur Traumatisierung von Prostituierten sind absolut nachvollziehbar, vielen Dank, dass Sie darauf aufmerksam machen. Für mich ergibt sich aber noch nicht, dass eine vergleichbare Traumatisierung auch bei einem tatsächlich freiwilligen Angebot von sexuellen Dienstleistungen im selben oder vergleichbaren Umfang auftreten wird.

    Vielleicht sollten Sie sich auch noch einmal um die Klärung des Prostituionsbegriffs bemühen. Soll nach Ihrer Auffassung jegliches Annehmen sexueller Dienstleistungen bestraft werden? Dies könnte dann doch etwas über das Ziel hinausschießen. Was wäre z.B. mit dem Anbieten von Livecams, Strip-Shows, erotischen Massagen?

    Ich schreibe jetzt erstmal nicht noch mehr, damit es nicht wieder umsonst ist, falls Sie diese teilweise kritische Nachfrage nicht freischalten wollen.

    Im Übrigen wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihrem beruflichen Fortkommen, denn ich weiß selber, dass ein Jurastudium nicht einfach ist.

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    1. Hallo „Herr Jurist“,

      hatten Sie bei mir hier im Blog etwas geschrieben? Normalerweise schalte ich alles frei, was konstruktiv ist. Es kann aber sein, dass auch mal was unter geht. Ich habe momentan sehr viel zu tun. Mit Kritik setze ich mich gern auseinander, solange sie, wie gesagt, konstruktiv ist. Falls Ihre Kritik das war (so wie sich das in dem jetzigen Kommentar anhört) und ich irgendwas überlesen habe, tut es mir leid.

      Wenn Sie Jurist sind, wissen Sie, dass die Berufsfreiheit einschränkbar ist, wenn es gerechtfertigt ist, aber das Nordische Modell schränkt sie nicht mal ein, weil es, wie Sie ja sagen, die Ausübung der Prostitution nicht verbietet. Wenn man mögliche Auswirkungen eines Sexkaufverbotes als indirekte Berufsfreiheitseinschränkung betrachten will (so meinen Sie das ja?), dann beantwortet sich die Frage hier meines Erachtens in der Verhältnismäßigkeits und – Abwägungsebene. Ist man nicht bereit, diese Art von indirekter Berufsfreiheitseinschränkung zu tolerieren um 10.000de-100.000de von Menschen vor Verbrechen an körperlicher und sexueller Integrität besser zu schützen? Ja, das Problem sind die Zahlen, ich weiß. Woher nehme ich die Zahlen? Es gibt keine genauen. Wenn Sie aber mal zu Polizeistellen gehen (z.B. nach Augsburg, Herr Helmut Sporer), erfahren Sie, dass 90-95 % der Prostituierten keine Deutschen sind, sondern meist aus osteuropäischen Staaten hierher kamen bzw. gebracht/gelockt/geschickt wurden. Wenn Sie im TV oder sonst wo vom Thema hören, dann sehen Sie meist nur Deutsche. Sie sehen also diejenigen wenigen, die privilegiert sind. Ein paar wenige, die es freiwillig tun, treten in der Öffentlichkeit auf und zeichnen so ein Bild. Ihr Bild, welches aber ganz und gar nicht komplett ist und nicht die weit verbreitete Realität wiederspiegelt (wobei es auch sehr viele deutsche Prostituierte gibt, die in der Prostitution leiden und daran zerbrechen). Diese 90-95% der Leidenden sind damit beschäftigt zu überleben, sie können nicht im TV sitzen. Ihre Stimme hört leider niemand bzw. nur wenige. Ich habe unzählige von Frauen in der Prostitution kaputt gehen sehen und letztlich sind sie an den Zimmergängen mit den Freiern kaputt gegangen, weil sie es nicht ertragen haben, egal ob sie durch Zuhälter oder „freiwillig“ dort waren. Freiwillig setze ich hier in „“, weil diejenigen Freiwilligen, die ich kannte, keinen Ausweg sahen und in diesem Leben, ihrer Scham, ihrem Trauma und/oder ihrer Hoffnungslosigkeit gefangen waren. Sie haben Massen an Alkohol und weiteren Drogen konsumiert um die Zimmergänge ertragen zu können, lagen teilweise leblos da während die Freier ihr Programm an ihnen durchzogen. Ist das vereinbar mit der Schutzpflicht unseres Staates aus Art. 1 GG? Selbst wenn es freiwillig passiert? Auf der Seite http://www.trauma-and-prostitution.eu finden Sie weiteres zur „Freiwilligkeit“, Studien darüber, dass die überwiegende Anzahl von Prostituierten, die freiwillig in der Prostitution sind, bereits in ihrer Kindheit Opfer von (sexueller) Gewalt waren und in der Prostitution nur aufgrund der bereits entwickelten Schutzmechanismen überleben können, durch Dissoziation, indem sie abschalten, ihre Traumata reinszenieren und dabei immer weiter traumatisiert werden. Ab und zu wird angebracht, man würde diesen Menschen die Urteilsfähigkeit und Selbstbestimmung absprechen, wenn man diese Traumastudien aufgreift und auch u.a. deswegen ein Sexkaufverbot fordert, aber das stimmt nicht. Ich und keine dieser Traumastudien sprechen einem Menschen seine Urteilsfähigkeit ab. Es sind Studien und Fakten, die versuchen, verstehen zu lassen, wie das System Prostitution in dem Ausmaß funktionieren kann, wie es das tut. Wir haben auch z.B. den § 216 StGb und den § 228 StGb, wo die Täter auch bestraft werden, wenn das Opfer völlig urteilsfähig ist und die Tat möchte. Man bestraft die Täter dennoch, weil es einfach Taten sind, die man als schwerwiegend erachtet und nicht duldet.

      Haben Sie mal in Freierforen gelesen, was da mit Prostituierten auf Zimmer veranstaltet wird? Die Menschenhandels – und Zuhältereiparagraphen schützen nicht davor, was der Prostituierten im Zimmer von Freiern zugefügt wird. Es ist in der großen Mehrheit immense Gewalt, die sich ein normaler Mensch gar nicht vorstellen kann. Und ja, wenn um diese enorme Gewalt zu minimieren, ein kleiner Prozentsatz der Menschen, die es selbstbestimmt tun und denen es nichts ausmacht, durch mögliche Auswirkungen des Sexkaufverbotes ein wenig zurück stecken müssen, dann bin ich der Ansicht, dass das allemal gerechtfertigt ist. Prostitution und Menschenhandel sind heutzutage wahrscheinlich mit die schlimmsten Verbrechen an Menschen, die nur leider oft nicht als solche wahrgenommen werden. Menschenhandel vielleicht, aber Prostitution? Menschenhandel ist schlimm, aber die Opfer von Menschenhandel (zum Zweck der sexuellen Ausbeutung) gehen nicht an der Verwirklichung des Tatbestandes des Menschenhandelsparagraphen zu Grunde, sondern letztlich in der Prostitution, nämlich dort, wo sie hineingehandelt werden um ausgebeutet zu werden. Sie gehen kaputt an den Freiern. Und dieser Aspekt wird außer Acht gelassen. Es wird außer Acht gelassen, dass am Ende der Kette die Freier stehen und diejenigen sind, welche in den Zimmern Menschenleben zerstören. Und wenn man nicht bereit ist in Kauf zu nehmen, dass ein paar Wenige zurückstecken müssen um der großen Masse zu versuchen zu helfen, dann frage ich mich, wozu unser Justizapparat überhaupt noch gut sein soll…. Das Europäische Parlament und der Europarat sagen ebenfalls, dass man die Nachfrage angehen muss.

      Und wo in unserer Verfassung gibt es ein Recht auf Sex? Für Behinderte, für Kranke… ihre Situation ist schlimm, aber wo ist ein Recht auf Sex verankert? Rechtfertigt ein Unrecht ein anderes Unrecht? Es gibt kein Recht auf Sex. Es gibt ein Recht auf Menschenwürde, welches aber nicht beinhaltet, sexuelle Befriedigung durch andere zu erlangen. Wenn man das anders sieht, möchte ich gerne wissen, wer das Recht hat, einem Menschen ein Recht auf Sex durch Zuhilfenahme eines anderen Menschen zuzusprechen. Wenn es ein solches Recht gibt, dann hat der Behinderte/Kranke eine Art Anspruch darauf. Einen Anspruch auf eine Prostituierte, falls man die Befriedigung nicht anders hergestellt bekommt? Nicht mal der Freier hat Anspruch auf Erbringung der Dienstleistung (ProstG), wie soll es dann ein umfangreicheres Recht auf Sex geben, das bei Kranken/Behinderten notwendigerweise immer Prostituierte erfüllen müssten?

      Gerne höre ich mir auch andere Ansichten an, denke darüber nach, vergleiche, ergänze, etc… letztlich ist für mich das Nordische Modell nach allem was ich erlebt und gelesen habe die wirksamste Methode um Menschenhandel zu verringern und auch die legale Gewalt von Freiern auf Zimmer am besten zu unterbinden. Das was wir hier in Deutschland haben ist eine große Katastrophe, die man nicht mit Reglementierungen in den Griff kriegt. Leider können die Menschen nicht sehen, was in den Zimmern passiert, sonst würden viele anders denken. Prostitution ist in der großen Mehrheit Gewalt und diese Gewalt wird nicht dadurch besser, dass man sich bei einer Behörde anmelden muss, BetreiberInnen eine Zuverlässigkeitsprüfung durchlaufen müssen, etc… Ich bin wirklich ein sehr liberaler und freiheitsliebender Mensch und bin der Meinung, dass das Strafrecht nicht die Lösung aller Probleme ist, allerdings muss liberale Politik für mich dort aufhören, wo liberale Politik zu unzähligen, schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen führt. Und das ist hier leider der Fall.

      Danke auch für die Wünsche!

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  3. Zur „juristischen Diskussion“: Sobald wir in Frage stellen, dass Prostitution ein „Beruf“ ist, d.h. von uns als Gesellschaft als Beruf gesehen werden sollte, löst sich dieses vermeintlich ganz schlimme Problem der „Freiheitseinschränkung“ in Luft auf. – Ich selber habe zwar nicht Jura, sondern „nur“ Rechtsphilosophie studieren dürfen, aber meines Wissens enthält unser Rechtswesen den Begriff der „Sittenwidrigkeit“: https://de.wikipedia.org/wiki/Sittenwidrigkeit_(Deutschland)#Strafrecht

    Genau dieses Verständnis von „Sittenwidrigkeit“ trifft nach den derzeitigen Erkenntnissen auf den größten Teil der Ausbeutung von prostitutierten Menschen voll und ganz zu, denn nachweislich liegt eine bleibende und drastische Gesundheitsschädigung vor.

    Was jene Frauen und Männer angeht, die angeblich ohne psychische Beschwerden aus regelmäßiger Prostitution hervorgehen (da wäre ich allerdings auf repräsentative Studien von neutralen Wissenschaftlern gespannt), so würde ich ebenfalls einen pragmatischen Güter-Abwägungsstandpunkt einnehmen: Ist die Freiheit der Vielen ein höheres Gut, ein unbeschädigtes, unverletztes Leben führen zu können, unbedroht von physischer und psychischer Gewalt, oder die Freiheit der Wenigen, „ihre Körper zu verkaufen“ und „sexuelle Dienstleistungen anzubieten“. Aus meiner Sicht müssen wir als Gesetzgeber (denn das sind wir in einer Demokratie alle) da genauer hinschauen, was bei solchen „Vorgängen“ eigentlich genauer passiert und ob es sich dabei wirklich um Handels- und Tauschvorgänge von der Form „ich kauf mir jetzt ein Eis“. handelt. Eisverkäufer gehen aus solchen Tauschvorgängen komischerweise so gut wie nie traumatisiert hervor. Ob das in rechtlicher Hinsicht völlig unbemerkenswert und irrelevant ist, wage ich zu bezweifeln.

    Zudem kann man noch ganz generell in Frage stellen, ob es wirklich der „Prostitutions-Begriff“ ist, der geklärt werden muss, oder ob sich heutzutage nicht vielmehr unser Rechtsbegriff verändern und weiterentwickeln muss: Der Begriff der psychischen Unversehrtheit spielt – gemessen an unserem heutigen Kenntnisstand über psycho-soziale Vorgänge – nicht nur im Fall der Prostitution, sondern auch in Bezug auf zahlreiche andere Handlungen, Vorgänge und Institutionen eine noch viel zu geringe Rolle. – Wir können natürlich weiterhin die Augen davor verschließen, was wir täglich einander und uns selber antun. Wir können aber auch aus unserem heutigen Wissen darüber, was wir als Menschen brauchen, um ein gutes Leben führen zu können, insitutionelle und rechtliche Konsequenzen ziehen. Aus meiner Sicht ist das heute angezeigt und auch ein historisch gesehen ziemlich normaler Vorgang, denn das Recht ist eben nichgt statisch, sondern in einer permanenten Evolution und Veränderung begriffen. Es ist also möglich und manchmal sogar notwendig, dass wir unseren Rechtsbegriff immer wieder in Frage stellen.

    M.E. sind das aber in erster Linie keinen juristischen, sondern politische Fragen: Also Fragen danach, worin wir übereinkommen, wie wir miteinander leben wollen, was wir zulassen und was wir verbieten wollen. Freiheitseinschränken sind jedenfalls ein ganz normaler Bestandteil auch einer demokratisch-liberalen Gesellschaft. Ansonsten könnten auch Folterer und Mörder „Berufsfreiheit“ einfordern und ihre „Dienstleistungen“ unter den Rechtsschutz unserer Gesellschaft zu stellen versuchen. Auch die Frage, warum wir sexuelle Handlungen an Kindern verbieten, aber an Erwachsenen als völlig unproblematisch ansehen, gehört hier dazu. Bei Kindern gehen wir mit guten Gründen davon aus, dass hier seelische Schäden entstehen und stellen das daher unter strengen Strafen. Wir prüfen aber nicht jeden Einzelfall, ob „das aber auch immer wirklich so ist und nicht doch irgendwie ganz schlimm die Freiheit einschränkt“. Bekanntlich gab es aber auch in unseren Breiten Gesellschaftsformen, die genau in diesem Punkt völlig andere Ansichten haben als wir heute. Recht ist veränderlich. Sein allgemeiner Grundsatz aber lautet: Es soll Schaden von menschlichem Leben abgehalten werden. Schaut man auf den gegenwärtigen Zustand von Menschenhandel und Menschenbenutzung in Deutschland, macht unser Rechtssystem, so wie es derzeit ist, einen mehr als nur miesen Job. Wir dulden derzeit himmelschreiendes Unrecht.

    Aus diesen Gründen muss aus meiner Sicht jeder, der ein generelles Sexkaufverbot problematisch sieht, mit einem konstruktiven Gegenvorschlag um die Ecke kommen, wie er denn meint, dass man dieses Unrecht ansonsten beseitigen kann? Diskussionsvorschläge, die darauf hinauslaufen, es sei ja alles ganz in Ordnung, so wie es ist, und eine Freierkriminalisierung sei hochproblematisch, tue ich mich mittlerweile schwer ernstzunehmen. Sie bagatelliseren menschliches Leid und bauschen menschliche Handlungen zu Rechten und Bedürfnissen auf, die es zumindest nach meinem Empfinden nicht sind und auch gesellschaftlich nicht so gesehen werden sollten. Es gibt kein Recht auf Traumatisierung anderer Menschen. Und von einem Sexkaufverbot wird ganz sicher niemand traumatisiert. Weder die wenigen, die das super finden, ihren Körper für Geld anzubieten. Noch diejenigen, die für das Ausleben ihrer sexuellen Vorlieben bezahlen wollen, anstatt sich andere, FREIE, erwachsene Menschen zu suchen, die ebenfalls Freude an den entsprechenden Praktiken haben. – Vielmehr zwingt ein Sexkaufverbot viele von uns Männern, uns mal etwas gründlicher mit unserem Innenleben auseinanderzusetzen. Ein Vorgang, der ohnein gesellschaftlich überfällig ist.

    Wenn man entwicklungspsychologisch etwas weiter ausholt, könnte man sogar soweit gehen, dass ein Sexkaufverbot und eine Freierkriminalisierung uns Männer vor Ausbeutung unserer emotionalen Bedürftigkeit schützt. Also nicht gleich, aber auch nicht ganz unähnlich wie bei der Kriminalisierung von Suchtmitteln, die ja auch „freiwillig“ eingenommen werden. – Aber das ist ein Thema, für das der heutige common sense einfach noch zu weit weg ist von den entwicklungspsychologischen Erkenntnissen ist, die ebenfalls bereits heute verfügbar sind.

    Das große Manko der Debatte um Prostitution ist aus meiner Sicht, dass man wenig hinschaut, was bei uns Männern läuft, wenn wir „Prostituierte in Anspruch nehmen“. Stattdessen gehen wir davon aus: „Männer sind halt so“. Oder „Männer haben Bedürfnisse“, und ähnlicher Unsinn mehr. Im Grunde müssen Männer und Jungen von uns als Gesellschaft davor geschützt werden, in eine psychische Lage zu geraten, in der sie das Bezahlen für Sex nicht mehr als entwürdigend für sich selber empfinden.

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  4. Beim Thema „Evolution des Rechts“ gibt’s übrigens ein paar Präzedenzfälle, die nicht gar so lange her sind. Ein besonders bemerkenswerter Präzedenzfall in Zusammenhang mit der überfälligen Freierkriminalisierung ist meiner Meinung nach dieser hier:

    http://www.zeit.de/1997/21/ehe.txt.19970516.xml/komplettansicht

    http://www.sueddeutsche.de/leben/sexuelle-selbstbestimmung-als-vergewaltigung-in-der-ehe-noch-straffrei-war-1.3572377

    Nicht unmittelbar zusammenhängend, aber indirekt durchaus relevant ist m.E. das hier:

    http://www.zeit.de/1976/43/hausfrauen-ehe-abgeschafft/komplettansicht

    http://www.focus.de/wissen/mensch/geschichte/tid-21578/zum-weltfrauentag-meilensteine-der-frauenemanzipation-in-deutschland-die-erste-frau-die-ohne-erlaubnis-ihres-ehemannes-arbeiten-darf_aid_605621.html

    http://www.tagesspiegel.de/politik/ehegattensplitting-der-lange-schatten-der-hausfrauenehe/10042290.html

    Man vergisst ja immer gerne, wie „rückständig“ wir vor Kurzem noch waren. Und in vielem auch heute immer noch sind.

    Und solange wir Gesetze haben, die Anreize setzen, um Frauen von anderen Einkommensmöglichkeiten fernzuhalten, kann man fragen, ob diese Gesetze nicht auch indirekt in die wahnsinnige Begeisterung für die Möglichkeit sich zu prostitutieren hineinspielen. – Bei Männern die zahlen genauso wie bei Frauen die „anbieten“.

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  5. Leider traue ich mich nicht mal anonym zu antworten … Es gab mal vor langer Zeit eine Zeit in meinem Leben, als ich mich so minderwertig und schuldig gefühlt habe, dass ich meinte, ich hätte kein Recht, Männern ihren Wunsch nach Sexualität mit mir abzuschlagen.
    Ich war damals schon weit über 18 und auch über 21 Jahre alt …hatte aber trotzdem noch keine sexuelle Erfahrungen bis dato gemacht. Aber dann traf ich natürlich auf einmal gleich mehrere, die das mit mir wollten… Nun ja, einmal ging „es“ also wirklich richtig weit (zum Glück hat er sein ekligstes Teil wenigstens nicht ausgepackt …, aber ansonsten war er an meinem Körper praktisch überall …). Er hat keine Gewalt anwenden müssen. Aber es ist mir bis heute unbegreiflich, wie er nicht bemerken konnte, dass ich absolut seelisch gebrochen war – schon davor -, dass ich nur deswegen alles am Ende alles wehrlos über mich ergehen lassen habe und zum Teil noch mitgemacht habe (weil ich fühlte, dass das meine Pflicht wäre). Zum größten Teil muß ich dabei gewirkt haben, mehr wie eine Leiche als wie ein lebendiger Mensch. Es hat zwar nicht körperlich weh getan, dafür war er aber immer noch unbeschreiblich eklig. Und ab einem gewissen Punkt bin ich innerlich gestorben.
    Ich fühlte mich damals praktisch kurz vor dem Einstieg in die Prostitution (nur das Geld war ich mir auch nicht mehr wert)

    Trotzdem habe ich danach, obwohl ich eigentlich innerlich tot war, die restlichen Typen mehr oder weniger von mir halbwegs ausreichend fern gehalten.

    Bis dann nur absehbare Zeit später etwas passiert ist, was mein Leben und meine Sicht auf die Dinge praktisch um 180 Grad gedreht hat (ohne das hätte ich mich vor lauter Schuldgefühlen usw. umgebracht).

    Dann brauchte ich keine ekligen Typen mehr von mir fern halten – die blieben von alleine fern (und „die“ – ich glaube, dass sind wirklich eine ganz spezielle Spezies …)

    Aber die Folgen von diesem einen Erlebnis (oder… Die andern ekelhaften Typen gab’s ja auch noch – also etwa gut 1,5 Erlebnissen…) merke ich bis heute noch an meinem Sexualerleben (ein Wunder, dass es überhaupt ein Sexualleben zu zweit für mich inzwischen gibt) und einem nicht-vorhandenem Beziehungsleben.

    Hätte ich mich prostituiert damals, wäre(n) mein(e) Erlebnis(se) immer noch vergleichsweise eine Lappalie. Ich denke trotzdem jetzt schon, dass ich möglicherweise eine PTBS (auch wegen des „Drumherums“) davon getragen haben könnte. Deshalb halte ich massive Traumatisierungen bei dem, was Sie berichten, praktisch für „Pflicht“.

    Und das kann doch echt nicht sein, dass man wegen paar Verrückten, die diesen wirklich unnötigen, eher gesellschaftsschädlichen Beruf, angeblich freiwillig ausüben wollen und die keine Rücksicht nehmen wollen – weder auf ihre Kolleginnen, noch auf Ehefrauen und Partnerinnen, deren Sexualleben leidet, da ihr Mann sich was er haben will, kaufen kann – uns diese Traumatisierungen und soviel verlorene Lebensjahre von Frauen einfach leisten!?!!

    Ich bin sehr froh, dass es doch noch ein paar Betroffene wie sie gibt, die sich tatsächlich trauen, den Mund auf zu machen. Und auch für jene möglicherweise den Mund mit aufzumachen, die sich möglicherweise – so wie ich um ein Haar … – ja auch freiwillig in diesen Job begeben haben. Und die aber selbst niemals den Mut oder die Kraft hätten, warum sie diesen selbstzerstörerischen Blödsinn freiwillig gemacht haben. Und die jetzt auch wahrscheinlich oft entweder schon physisch tot sind oder innerlich tot oder die Hells Angels passen mit auf sie auf …

    Ich habe übrigens das große Glück in Marburg zu wohnen und so ein tolles Plakat schon hängen gesehen zu haben! Wenn diese Aktion gelingt die Marburger dadurch anders anfangen zu denken, als anderswo, boah … Ich wäre mal wieder stolz auf die Stadt, in der ich lebe. Und glücklich, ausgerechnet hier gelandet zu sein.

    Bin mal gespannt, wenn ich jetzt tatsächlich auf „senden“ drücken sollte, wie lange es dauert, bis ich wieder lösche.

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    1. Hallo liebe Unbekannte 🙂

      Sie selbst können die Nachricht nicht löschen, wenn Sie sie gesendet haben (glaub ich zumindest), aber sollten Sie das doch irgendwann wollen, schreiben Sie mir das einfach und ich lösche alles. So haben Sie Sicherheit.

      Danke für diesen mutigen Kommentar und ich verstehe Sie sehr gut, wenn Sie sagen, dass Sie dachten, dass es Ihre Pflicht war. Ich kannte viele Frauen in der Prostitution, denen man bereits früh eingetrichtert hat, es sei alles normal und ihre Pflicht dem Zuhälter „zu dienen“. Sie seien minderwertig und haben sowieso keine Rechte.

      Ich freue mich immer, von Menschen zu hören, die gleiches oder ähnliches wie ich erlebt haben 🙂 Schön, dass Sie in Marburg wohnen und schon ein Plakat gesehen haben! 🙂

      Alles Liebe und Gute!

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      1. Nur ich war beim keinem Zuhälter.
        Der Typ (ein alter Sack – sorry …) wollte scheinbar Sex von mir und ich habe – mehr oder weniger … – mitgemacht, weil ich u.a. wegen anderen Sachen sch** Schuldgefühle hatte, und meinte, ich hätte kein Recht mehr, nicht mitzumachen, auf meinen Geschmack zu hören, …

        Fairer Weise muss man aber sagen, dass es nicht „er“ war, der mir klar gemacht hat, dass ich ein Recht auf einen eigenen Geschmack, auf Grenzen oder sowas, auf Geschmacksgrenzen, … Verlieren kann, bzw. Dass es sein kann, dass mir das aufgrund schlechter Leistungen und vieler Fehler gar nicht erst zusteht …

        Hinterher hat sich herausgestellt, dass die ganzen Fehler, die ich VERSEHENTLICH gemacht habe, das ganze Chaos, die vielen vielen Dinge, die ich gesehen und gehört, aber nicht wahrgenommen habe, meine extrem ausgeprägte Langsamkeit, …an einem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom lagen. An einer Krankheit, die mit Medikamenten behandelt werden muss (in meinem Fall, da sehr ausgeprägt)

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  6. Ich hatte früher schon mal von den sogenannten Loverboys gehört.
    Allerdings wurde nur gesagt, dass Loverboys Mädchen bzw. jungen Frauen
    vornehmlich aus desolaten Familienverhältnissen Liebe vorspielen, und sie
    damit abhängig und gefügig machen.
    Dass dabei auch Methoden der psychologischen Kriegsführung eingesetzt werden,
    war mir neu. Dein Blog-Eintrag dazu ist sehr gut.
    Soviel perverse Raffinesse hätte ich den Loverboys nicht zugetraut.
    Solche Menschen wie Dein ehemaliger Zuhälter müssen in den tieferen Schichten
    ihres Wesens über einen massiven Ego-Panzer verfügen, der nicht mehr viel
    Menschliches durchlässt. Sonst könnten sie anderen Menschen, inbesondere
    jungen Frauen, sowas nicht antun.
    Soll heißen, dass solche Menschen selbst erheblich gestört sind.

    Dass so eine RotlichtAus-Plakataktion durchgeführt werden kann, gibt ja
    Anlass zur Hoffnung.
    Für Hamburg kann ich mir eine derartige Aktion momentan allerdings
    nur schwer vorstellen.

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